DIE VIELFALT DES BEHINDERTENSPORTS

14. März 2018 / Magazin

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Das Angebot an unterschiedlichen Disziplinen ist im Behindertensport enorm vielfältig (Bilder: www.rollstuhlsport.de und Florian Arp (oben Mitte)).

„Die einzige Behinderung im Leben ist die falsche Einstellung“ – dieses Motto begleitete die deutschen Sportler und Mannschaften während der Paralympics in Rio 2016 und es gilt auch heute, zwei Jahre später, für die 12. Winter-Paralympics in der südkoreanischen Stadt Pyeongchang.

Bei den diesjährigen paralympischen Winterspielen werden rund 670 Athletinnen und Athleten aus etwa 45 Nationen starten. In sechs Sportarten (Ski Alpin, Biathlon, Langlauf, Rollstuhlcurling, Sledge-Eishockey und Snowboarding) werden 80 Medaillenentscheidungen erwartet. Mit 20 Athleten startet Deutschland bei den Paralympics in Pyeongchang – lediglich in den Disziplinen Sledge-Eishockey und Snowboarding ist das deutsche Team nicht vertreten.

1948 fanden die ersten Paralympics als „Weltspiele der Gelähmten“ in Stoke Mandeville statt. Initiiert von dem Neurologen Sir Ludwig Guttmann, der Sport als „heilsam für Kriegsversehrte“ erkannte. Seit 1992 sind die Paralympischen Spiele organisatorisch mit den Olympischen Sommerspielen verbunden und finden jeweils drei Wochen nach den Olympischen Spielen am gleichen Ort statt. Bis ins Jahr 2000 nahmen auch geistig behinderte Menschen an den Paralympics teil. Doch ein Skandal erschütterte die Wettkämpfe: Zehn der zwölf spanischen Basketballspieler hatten ihre Behinderung vorgetäuscht – die Goldmedaille wurde der spanischen Mannschaft nach dieser Entdeckung aberkannt und alle Spieler mit intellektueller Beeinträchtigung für den Sport gesperrt. Dem Anspruch, die Vielfalt der Sportler mit Behinderung zu repräsentieren, wurde das Internationale Paralympische Komitee damit allerdings nicht mehr gerecht. Bei den Spielen 2012 in London wurden die Teilnahmebedingungen gelockert und die Sportarten Leichtathletik, Schwimmen und Tischtennis auch für geistig behinderte Menschen geöffnet, doch das Thema bleibt höchstumstritten.

Die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung sind die Special Olympics. Sie ist vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannt und darf als einzige Organisation weltweit den Ausdruck „Olympics“ nutzen. Im Juni 2016 war Hannover Austragungsort und bot Spielern und Publikum ein gelungenes Sportevent.

Im Mai 2018 werden die Special Olympics in Kiel ausgetragen. Nationalspieler Steffen Weinhold vom THW Kiel liegt das Veranstaltungsmotto „Gemeinsam stark“ am Herzen: „Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass man im Sport Inklusion lebt und auf Augenhöhe miteinander Sport macht. Ich denke, da geht es dann nicht immer darum, Titel oder Siege zu erreichen, sondern um den Austausch miteinander.“ Das Interesse an den Spielen ist riesig: Insgesamt 4.600 Athleten und Unified Partner werden im Mai in Kiel erwartet, darunter auch internationale Sportler aus Belgien, Finnland, Griechenland, Österreich und Serbien.

Inklusion im Sport

„Inklusion im Sport“ ist das Stichwort, das die Paralympics und die Special Olympics prägt. Der Behinderten-Sportverband Niedersachsen hat 2013 in enger Kooperation mit dem Landessportbund Niedersachsen e. V. einen Aktionsplan erstellt und konkrete Maßnahmen für Inklusion im Sport bis 2018 festgelegt. Inklusion bedeutet für die Verbände, dass alle mitmachen können und keiner ausgeschlossen wird, dass Unterschiedlichkeit kein Problem und Anderssein normal ist. Und dass der Einzelne entscheiden kann, wie und wo er seinen Sport ausübt. Dazu sind Voraussetzungen wie eine barrierefreie Ausstattung der Sporthallen, aber auch die Möglichkeit der Begleitung durch einen Betreuer und das entsprechende Angebot geeigneter Sportarten enorm wichtig. Mittlerweile gehören über 40 Sportarten zum Angebot des Deutschen Behindertensport-Verbandes. Rollstuhlnutzer können in 30 Sportarten aktiv werden. Neben klassischen Sommer- und Wintersportarten kommen immer wieder neue Angebote hinzu wie ChairSkating oder Wassersport. In der Region Hannover ist die RSG Langenhagen führender Anbieter für Rollstuhlsport und bietet insbesondere Sport für Kinder und Jugendliche, Badminton, Basketball und Schwimmen. Die RSG gehört zu den ältesten deutschen Rollstuhlsportvereinen und ist Gründungsmitglied des Deutschen Rollstuhlsport-Verbandes. Deutschlandweit wurde hier zum ersten Mal Rollhockey angeboten.

„Großartige Leistungen verdienen eine breite Aufmerksamkeit“, erklärt Karl Finke, Präsident des Behinderten-Sportverbandes Niedersachsen. Zum 18. Mal bittet der Behinderten-Sportverband Niedersachsen deshalb die gesamte Bevölkerung zur Wahl des Behindertensportlers 2018. Die zur Wahl stehenden Sportlerinnen und Sportler repräsentieren gleichzeitig die vielfältigen Möglichkeiten, in der Region Hannover und darüber hinaus Behindertensport auf hohem Niveau zu betreiben: Die Rollstuhlbasketballer Vanessa Erskine und Oliver Jantz (beide Hannover United) sind beide mit ihrem Verein in die Bundesliga aufgestiegen. Der Leichtathlet Phil Grolla, dem der linke Unterarm fehlt, wurde Junioren-Weltmeister im Kugelstoßen und Diskuswerfen. Rollstuhlrugbyspieler Marco Herbst ist Mitglied der Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft, die bei der Europameisterschaft den sechsten Rang erkämpfte. Die erst 16-jährige Schwimmerin Riekje Heuter hält mehrere deutsche Rekorde im Brustschwimmen und die Handbikerin und Paralympics-Siegerin Christiane Reppe, der wegen einer Krebserkrankung das rechte Bein amputiert werden musste, holte in diesem Jahr zwei WM-Titel im Handbike.

„Die Paralympics in Tokio sind auf jeden Fall das nächste große Ziel. Und 2021 möchte ich gern den Ironman auf Hawaii finishen“, sagt Christiane Reppe. Frei nach dem Motto: Die einzige Behinderung im Leben ist die falsche Einstellung.

Oben links: Chairskating – das sind spektakuläre Sprünge und ausgefallene Stunts (Bild: www.rollstuhlsport.de). Großes Bild: Handbikerin und Paralympics-Siegerin Christiane Reppe holte in diesem Jahr zwei WM-Titel im Handbike (Bild: Florian Arp).

Deaflympics

Eine weitere Besonderheit im Behindertensport sind die Deaflympics, die olympischen Spiele der Gehörlosen. Der Schuss aus der Startpistole, Klatschen und Rufen des Publikums oder Rufe zwischen Teammitgliedern im Mannschaftssport – solche akustischen Signale sind für gehörlose Sportler kaum oder nicht wahrnehmbar. Durch die Art ihrer Verständigung, die Gebärdensprache, die auch international verständlich ist, haben sie ihre eigene Form der Kommunikation entwickelt und finden mit der Gehörlosen-Sportveranstaltung die Möglichkeit des sozialen und kulturellen Austauschs über Ländergrenzen hinweg.

Text: Susanne Bührer

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