Ein Dorado für historische Mobilität

31. Mai 2017 / Magazin

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Am 6. August beginnt die erste Ausstellung der Mobilen Welten mit einer beeindruckenden Fahrradschau. Die Exponate entführen in eine bewegte Vergangenheit und faszinieren Technikverliebte und Ästheten gleichermaßen (Bild: Gregor Honsel).

20 Kilometer südöstlich der Landeshauptstadt, in Sehnde-Wehmingen, wird Fahrzeuggeschichte besonders leidenschaftlich gelebt. Das Gelände des früheren Kalibergwerks Hohenfels ist Schauplatz einer einmaligen Straßenbahnsammlung. Zurzeit wird der Museumsbereich erweitert: Die Mobilen Welten halten mit einer Fahrradausstellung Einzug ins denkmalgeschützte Backsteinensemble.

Für Freunde alter Fahrzeugtechnik gibt es nichts Schöneres, als betagten Vehikeln wieder Leben einzuhauchen. Den Vereinsmitgliedern des Hannoverschen Straßenbahn-Museums gelingt dies in ganz besonderer Umgebung: Die denkmalgeschützten Gebäude des einstigen Bergwerks Hohenfels im Sehnder Ortsteil Wehmingen bilden den Rahmen für die einzige überregionale Straßenbahnsammlung Deutschlands. Teil des beeindruckenden Backsteinensembles ist eine fünfstöckige ehemalige Salzmühle, die als Schauplatz für die Mobilen Welten vorgesehen ist, einer Erlebniswelt der Mobilität auf Straße, Schiene und in der Luft.

Den Anfang macht die Straße in Form von Zweirädern: Die Ausstellung „Über 200 Jahre Fahrrad im Norden – von den Drais’schen Anfängen in die Zukunft“ soll vom 6. August bis zum 3. Oktober als weiteres bewegendes Angebot für Nostalgiker und Technikinteressierte neue Besuchergruppen ins Straßenbahn-Museum locken. „Bis dahin steht noch eine Menge Arbeit an“, sagt Horst-Dieter Görg, Vorstandsmitglied des Vereins Mobile Welten. „Jedes Wochenende sind wir mit zahlreichen Helfern vor Ort, um die Salzmühle herzurichten und Exponate einzulagern.“ Die unteren beiden Stockwerke der Salzmühle sind für die Fahrräder vorgesehen.

Auch hannoversche Technikgeschichte ist vertreten
Ursprünglich waren die Eilers-Werke in Hannover-Hainholz als Domizil der Mobilen Welten vorgesehen. Doch die Idee eines Mobilitätserlebniszentrums ließ sich dort nicht verwirklichen. Mit dem Umzug nach Wehmingen hat das ehrgeizige Konzept nun wieder eine Zukunft. 700 Quadratmeter Fläche pro Stockwerk bieten jede Menge Möglichkeiten.

Ein Großteil der Exponate besteht aus der umfangreichen Fahrradsammlung des Technik- und Verkehrsmuseums Stade, das vor vier Jahren aufgelöst wurde. Einige Fahrräder mit Hilfsmotor, Kleinkrafträder und Roller ergänzen den Bestand. Das Schwergewicht der Sammlung ist eine Lokomobile von 1922. Zwei Segelflugzeuge unterstreichen die Ambitionen, auch die Luftfahrt zu thematisieren. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Technik- und Industriegeschichte in der Region Hannover (AK TIG) und flugbegeisterten Enthusiasten wird zurzeit der in Hannover erfundene HAWA Vampyr von 1921 flugfähig nachgebaut. Mit ihm erflog die Akademische Fliegergruppe Hannover (Akaflieg) auf der Wasserkuppe zahlreiche Weltrekorde. Den Blick nach vorn ermöglichen aktuelle Exponate wie zum Beispiel ein Tragschrauber des Hildesheimer Hersteller AutoGyro. Auch in der automobilen Sparte ist der Standort Hannover vertreten – mit zwei Feuerwehrfahrzeugen der Marke Hanomag.

Feuerwehrfahrzeuge von Hanomag: Die hannoversche Traditionsmarke wird in künftigen Ausstellungen der Mobilen Welten umfassend thematisiert (Bild: Mobile Welten).

Bewegte Zeiten zwischen Kali, Munition und Militär
1902 ging in Wehmingen das erste Kalibergwerk auf dem riesigen Salzstock Lehrte-Sehnde in Betrieb. Doch während in der Nachbarschaft bis Ende des vorigen Jahrhunderts Kalisalz abgebaut wurde, war dieses Kapitel am Roten Berg, der unübersehbaren, bewaldeten Kuppe von Hohenfels, schon in den 1920er-Jahren wieder beendet. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg bauten die Nationalsozialisten das Werk zur Munitionsanstalt Sehnde um. In einem Lager lebten bis zu 500 Zwangsarbeiter. Die charakteristische Form des gesamten Areals ist seitdem erhalten geblieben. Nach dem Krieg nutzte die Britische Rheinarmee das alte Bergwerk als Depot, bevor hier bis 1974 ein Nachschubbataillon der Bundeswehr stationiert war. Auf den Gleisen der Werksbahn entstand schließlich die Straßenbahnstrecke des Museums.

Gefahren wird im 20-Minuten-Takt
Alljährlich am 2. April ist Saisoneröffnung. Bis zum 31. Oktober sind die historischen Straßenbahnen der Baujahre 1921 bis 1982 auf zwei Strecken unterwegs, immer an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr sowie im Rahmen von Sonderveranstaltungen. Auch Sondertermine für Gruppen sind möglich. Ein Rundkurs führt über das Museumsgelände entlang der alten Werksgebäude und durch den Hohenfelser Wald, eine Außenstrecke Richtung Stichkanal Hildesheim. Die Besucherstrecke ist insgesamt 5,8 Kilometer lang. Beeindruckende Ausblicke, garniert mit Holz, Messing und Leder, sind somit garantiert. Gefahren wird im 20-Minuten-Takt, bei starkem Andrang auch öfter. Die Außenstrecke wird stündlich befahren. Mit dabei ist ein Schaffner, der die Karten knipst und Fragen beantwortet.

Für die Besucher der Sonderveranstaltungen ist der Fahrbetrieb ein spannendes Zusatzangebot. Ein traditionsreicher Publikumsmagnet ist zum Beispiel der Oldtimertag. Entstanden aus der Idee heraus, auf dem Museumsgelände auch historischen Individualverkehr vergangener Zeiten zu präsentieren, findet der Oldtimertag für Pkw, Motorräder und -roller dieses Jahr zum 22. Mal statt und ist mit weit über 1.000 Besuchern die größte regelmäßige Sonderveranstaltung der Museumssaison. Spielt das Wetter mit, so werden am 13. August etwa 400 Oldies erwartet, deren Fahrer und Beifahrer freien Eintritt haben. Immer wieder ein Highlight ist die musikalische Untermalung durch das große ÜSTRA-Orchester. Die Formation wurde bereits in 1928 gegründet und präsentiert am Kaffeegarten ihr großes Repertoire – von Blechbläser-Arrangements bis zu zahlreichen Swingtiteln im Bigband-Sound.

Hanomag Feuerwehrautos und alte Straßenbahnen – eine gelungene Kombination (Bild: Elsner, CDL).

Ein außergewöhnlicher Kraftakt
Die Ära der Straßenbahnen in Wehmingen begann 1974 mit der Gründung des Deutschen Straßenbahnmuseums Hannover, dessen Sammlung 1986 rund 330 Straßenbahnen aus über 60 deutschen und einigen europäischen Verkehrsbetrieben umfasste. Viele Wagen waren mehrfach vorhanden. Der riesige Fuhrpark war nicht zu stemmen und führte 1986 in den Konkurs. Mithilfe der Hannoverschen Verkehrsbetriebe üstra, einigen privaten Förderern, der Gemeinde Sehnde und mehrerer tatkräftiger Straßenbahnfans gelang 1987 durch die Gründung des gemeinnützig anerkannten Vereins Hannoversches Straßenbahn-Museum ein Neuanfang, der einen außergewöhnlichen Kraftakt in Gang setzte: Überzählige Bahnen wurden nach und nach abgegeben, verschrottet oder verkauft, das Gleisnetz saniert, in Gebäude und verbliebenes Material investiert. Auf dem gut zwölf Hektar großen Gelände sind 130 Bahnen übriggeblieben. Einzelne Wagen kommen jedoch immer wieder hinzu, um vorhandene unrestaurierte Bahnen zu ersetzen und Sammlungslücken zu schließen. Vor allem für die Zeit vor dem ersten Weltkrieg herrscht noch Handlungsbedarf, die Ära nach dem zweiten Weltkrieg ist überrepräsentiert. Zurzeit sind aus diesem Bestand rund 30 Straßenbahnen für den Besucherfahrbetrieb einsatzbereit. Westdeutsche und ostdeutsche Nachkriegs-Zweiachser, eine Auswahl westdeutscher Großraumwagen und Grundtypen deutscher Gelenkwagen bilden die Schwerpunkte. Von Bremen bis München, von Düsseldorf bis Dresden reicht die Bandbreite, ergänzt durch einige ausländische Wagen. Herausragend sind ein Pferdebahn-Sommerwagen aus Heidelberg, die über 100-jährige U-Bahn aus Budapest und die bequeme „Diplomatenbahn“ aus Bonn. Natürlich sind auch die hannoverschen Straßenbahngenerationen vertreten.

Fast alle Aufgaben in Eigenregie
Hochbetrieb herrscht auch in den Wintermonaten. In der Werkstatt des Museums wird gerade eine früher auf hannoverschen Strecken eingesetzte Bahn des Typs Credé TW227, Baujahr 1943, komplett restauriert. Die Werkstatt verfügt nicht nur über die entsprechende Ausstattung für solche Arbeiten, sondern auch über gute Fachkräfte, die fast alle Aufgaben in Eigenregie lösen. Das gilt nicht nur für die technischen Anforderungen am Fuhrpark, sondern auch für die Pflege des Geländes. In jahrelanger, mühevoller Arbeit konnte auch ein Großteil des Streckennetzes elektrifiziert werden. Darauf sind die heute 370 Vereinsmitglieder ganz besonders stolz, denn so wurde der Fahrbetrieb interessanter, zuverlässiger und vor allem auch wirtschaftlicher. //

Text: Jan Hetebrügge

Termine zu Sonderveranstaltungen im Hannoverschen Straßenbahn-Museum sind in der radius30 Ausgabe 2/2017 zu finden und werden auf unserer radius30 Facebookseite veröffentlicht.

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