
Text: Bernd Schwope
Der in Luxemburg geborene Fotograf Marc Theis (Jahrgang 1953) lebt seit 50 Jahren in Hannover. Zu seinen langjährigen Kunden zählen viele internationale Unternehmen. Theis hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten, darunter die Goldmedaille im weltweiten Nikon-Contest. Mittlerweile hat er fast 30 Bücher in Eigenregie herausgebracht. Viele von ihnen greifen Motive aus Hannover auf wie etwa der legendäre Bildband zur Expo 2000. Wir interviewten Marc Theis in einem Café in seiner Kirchröder Wahlheimat und erhielten beeindruckende Einblicke in seine Biografie.
radius/30: Hannover scheint ein spezielles Pflaster für Luxemburger zu sein. Ich persönlich kenne schon zwei, die hier wohnen. Der eine ist Sprachwissenschaftler, der andere Jazz-Bassist.
Marc Theis: Den Jazz-Bassisten Hervé Jeanne kenne ich auch.
Was treibt einen Luxemburger nach Hannover?
In meinem Fall hat mich eine Jugendliebe hierher gelockt. Das ist nun auch schon 50 Jahre her. Und ich mache immer noch viel für Luxemburg hier in Hannover. Dazu aber später.
Wie war Ihr Werdegang?
Luxemburger Wege sind immer sehr besondere Wege. Mittlerweile leben in Luxemburg über 50 % der Menschen ohne Luxemburger Staatsbürgerschaft. In der Stadt Luxemburg sind es sogar noch wesentlich mehr. Das bedeutet: Luxemburg dürfte der multikulturellste Staat der Welt sein. Das Glück für alle, die dort zur Schule gehen, ist, du lernst gleichermaßen deutsch, französisch und englisch, dazu den Luxemburger Dialekt, den alle sprechen. Luxemburger wachsen mehrsprachig auf. Luxemburg ist ein sehr spannendes Land. Das Problem für mich war nur, es gab keine Uni. Wenn du studieren wolltest, musstest du ins Ausland gehen. Nach Belgien, Frankreich, Deutschland. Die meisten hat es nach Aachen/Köln verschlagen.
Sie sind also zum Studieren nach Deutschland gegangen, vermute ich. Und mussten sich gegen Ihre Eltern durchsetzen?
Als Kind war ich ein Lausbub. Ich bin mit zehn Jahren ins Internat nach Frankreich gekommen. Das Internat aber durfte ich mir aussuchen. Es war das mit zwei Fußballplätzen, wo ich viel Sport machen konnte. Es wurde nur französisch gesprochen, daher bin ich sehr frankophil geworden. Mit 15 ging es zurück nach Luxemburg. Mein Vater hatte einen Malerbetrieb, den ich übernehmen sollte. Ich lernte also Schriftenmaler und Dekorateur an der Schule für Kunst und Handwerk. Das ist die Vorstufe zum Malermeister. Doch mit 17 beschloss ich, nicht den Betrieb zu übernehmen, sondern lieber Grafik zu studieren.
Oh ha!
Gott sei Dank hatte ich eine Mutter, die mich – wo immer sie konnte – voll unterstützte. Mein mittlerweile überredeter Vater wollte, dass ich nach Paris gehe. Aus meiner Sicht aber waren die deutschen Hochschulen besser. Ich bewarb mich schließlich in Stuttgart an der Kunstakademie. Ich hatte eine gute Mappe, der Professor mochte mich. Jetzt aber kommt der entscheidende Punkt. Ohne Fotos konnte ich nicht aufgenommen werden. Aber es gab eine bekannte Fotoschule, die es heute noch gibt, die Adolf-Lazi-Schule. Also musste ich erst mal für ein halbes Jahr auf eine Privatschule, die meine Eltern bezahlen durften. Dort habe ich von der Pike auf das Fotohandwerk gelernt, von Kleinbild bis Großformat.
Der erste Schritt zur Fotografenkarriere?
Ja, definitiv. Ich verkaufte schnell meine ersten Fotos. Zwei von 134 Bewerbern wurden an der Kunstakademie im Studiengang „Werbegrafik“ in dem Semester angenommen und ich war mit knapp 18 Jahren der Jüngste. Viele Facetten wurden uns dort beigebracht: Alle manuellen Drucktechniken inkl. Buchdruck, Siebdruck, auch Lithografien und Offsetdrucke machten wir selber. Wir gestalteten erst und mussten dann unsere Entwürfe auch in Druckerzeugnisse umsetzen. Im Zeichnen war ich allerdings weniger gut, da ich ein eher ungeduldiger Mensch bin. Umso mehr habe ich mich der Fotografie zugewandt und bekam früh Preise.
Nun wissen wir aber immer noch nicht, wie Sie nach Hannover gekommen sind.
Wie schon eingangs erwähnt über eine Frau. Die wollte unbedingt, dass ich hierher ziehe. Ihre Schwester hätte auch einen Job für mich. Stuttgart war zwar mein Lebensmittelpunkt. Das Studium war durch und ich hatte einen Job beim Ehapa Verlag, der vor allem durch die Mickey-Mouse-Hefte und die Zeitschrift „Hobby“ bekannt war. An die habe ich meine ersten Bilder verkauft. Also bin ich für die gereist und habe Fotos gemacht. Für ein Foto bekam ich 70 D-Mark, die Miete kostete 250 D-Mark und ich habe teilweise 2.000 D-Mark im Monat mit Fotos gemacht. Davon habe ich wiederum Reisen, Kameras und Filme finanziert. Wie auch immer, ich bin in Hannover als Fotograf bei der Medizinischen Hochschule gelandet.
Das ist mal ein Sprung, der erklärt werden muss.
Die NP machte später einen Artikel über mich mit der Headline „Von Mickey Mouse zum Leichenfotograf“. Die MHH hatte damals eine riesengroße Fotoabteilung. Es wurde ja alles dokumentiert und fotografiert. Jede OP. In der Fotoabteilung arbeiteten neben mir noch sechs Frauen.
War das nicht ein Rückschritt für Sie, im Akkord Fotos von Operationen zu erstellen, statt künstlerisch tätig zu sein? Warum haben Sie das getan?
Zum einen wegen der Freundin. Zum anderen hat’s mich auch gereizt, das war sehr spannend. Man wollte mit mir ein anderes Niveau erreichen. Professor Pichlmayr hat als erster Nieren- und Lebertransplantationen in Europa durchgeführt und ich habe als Fotograf auch solche OPs fotografiert. Das war körperlich sehr anstrengend. Während über zig Stunden operiert wurde, stand man da konzentriert mit seiner Hasselblad und musste, wenn nötig, Objektive wechseln. Nach einem Jahr entschied ich mich: Es reicht.
Was ist dann passiert?
An der Fachhochschule war damals im Studiengang Grafik-Design Fotografie bei Heinrich Riebesehl sehr angesagt. Da bin ich dann hingegangen. Derweil habe ich Ausstellungen gemacht, VHS-Kurse gegeben und an der Fotogalerie Spectrum mitgearbeitet. Für den Schädelspalter habe ich 1977 bei den ersten Ausgaben fotografiert. Da habe ich auch Ulli Stein kennengelernt. Hannover war damals eine enorm kreative und lebendige Stadt. Zwischendurch lernte ich die Frau kennen, die ich auch geheiratet habe.
Das ist aber jetzt eine andere Frau als die, die Sie nach Hannover gebracht hat?
Ja, wie das in jungen Jahren so ist. Zu der Zeit entdeckte ich eine Anzeige in der HAZ mit dem Logo der TUI, obwohl man dieses noch gar nicht kannte. Es wurde ein Werbeassistent für Touropa München gesucht, bevor Touropa in München aufgelöst wurde und nach Hannover umzog. In einer Sommerlaune habe ich mich beworben und gleich die Stelle bekommen. Das waren super Jahre, die Pionierzeit der Reisefotografie. Ich bin extrem viel gereist und habe für die TUI ein weltweites Fotoarchiv mit aufgebaut. Doch der Pioniergeist verschwand, als die einzelnen Marken 1983 in eine Zentrale in der Karl-Wiechert-Allee umzogen. Es wurde immer mehr verwaltet. Nach 4,5 Jahren habe ich im Alter von 30 Jahren gekündigt.
Das vollständige Interview mit Marc Theis …
… finden Sie in der radius/30 Ausgabe Juni/Juli/August.