
Text und Bilder: Johanna Ritter
Ländliche Gegenden sind auch heute noch geprägt durch den Baustil vergangener Zeiten. Insbesondere in Backstein errichtete Bauten können leicht dem 19. Jahrhundert zugeordnet werden. Doch wenn verschiedene Stilrichtungen aufeinandertreffen, wird das Errichtungsjahr schnell zum Ratespiel. Insbesondere in der Stadt Rehburg-Loccum, die mit ihrer Lage im Südosten des Landkreises Nienburg, nur einen Katzensprung von der Region Hannover entfernt zu finden ist, ist genau dieses der Fall.
Machen wir uns zusammen auf eine spannende Entdeckungsreise durch die Zeit und halten die Augen nach architektonischer Vielfalt offen. Als Ausgangspunkt wählen wir den Marktplatz in der Stadtmitte von Rehburg, denn hier steht bereits eines der Wahrzeichen der Stadt. Der alte schmucke Feuerwehrturm. Mit Sandsteinsockel und Ziegelmauerwerk, hölzernem Balkon und Vordach sowie Runderker ist er ein erster echter Hingucker auf unserer Tour. Wozu er einmal gedient haben mochte, leuchtet sofort ein. In ihm wurden einst Feuerwehrschläuche zum Trocknen aufgehängt.
Es bedarf nur einer halben Drehung und schon zieht das nächste imposante Gebäude unser Augenmerk auf sich. Es ist die ehemalige Gemeindeschule, in der heute die Rehburger Polizeistation ihren Sitz hat. Unter Symbolen wie der steinernen Eule, einem aufgeschlagenen Buch und einem Tafelschwamm, die als Zierelemente in die Fassade gemeißelt wurden, gingen hier lange Zeit Schulkinder ein und aus. Und auch an diesem Gebäude entdecken wir wieder ein Zusammenspiel von Backstein, Holz und Naturstein. Doch die Fassade gibt noch mehr Sehenswertes preis. Tür- und Fenstersprüche, eine Szene aus dem Märchen „Rotkäppchen und der Wolf“ und das Rehburger Wappen unterhalb der Giebelspitze wollen gesehen werden.
Um in Rehburg die Architektur zu erkunden, benötigt es nur kurze Wege, denn etliche alte Gebäude liegen sehr dicht beieinander. So sind es auch nur wenige Schritte bis zum Heimatmuseum. Dieses wurde im Stil eines Bürgerhauses als Dreiständerhaus errichtet und punktet mit seinem märchenhaften Erscheinungsbild.
Bevor wir uns von anderen architektonischen Besonderheiten in den Bann ziehen lassen, gilt es jedoch zu erfahren, wer diese vielfältige Gebäudekunst ins Leben gerufen haben mochte. Hierfür zeichnen die zwei Rehburger Architekten, Wilhelm Meßwarb und Sohn Ernst, die gleichfalls aufeinanderfolgend als Bürgermeister der Stadt fungierten, verantwortlich. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert schrieben sie in Rehburg und umliegenden Landkreisen Baugeschichte.
So prägen eine große Anzahl an Gebäuden aus Backstein- oder Naturstein, mit Putzfassaden, Fachwerk, Türmchen oder Erker diesen eindrucksvollen „Rehburger Baustil“, der aufgrund seiner Vielfalt auch als „Zuckerbäckerbaustil“ von sich reden machte.
An einem Brunnen mit hölzernem Aufbau machen wir halt. Er ist ein kleineres Exemplar der Zuckerbäckerbaukunst und steht auf dem Vorplatz der St. Martini Kirche, in Sichtweite von Polizeigebäude und Heimatmuseum. Dieser Brunnen mit seinem verspielten Aufbau soll an die erste Wasserleitung, die Rehburg im Jahr 1888 von dem moorigen Wasser des Steinhuder Meerbachs unabhängig werden ließ, erinnern.Entlang der Heidtorstraße, die sich als Hauptverkehrsader durch die Kleinstadt zieht, stehen wir bald vor einem markanten roten Backsteinbau. In diesem waren zu früherer Zeit eine Gaststätte, die Stadtverwaltung und die Bautechnische Winterschule untergebracht. Begeistert von der vielgestaltigen Außenfassade mit Backsteinrosetten, Treppengiebeln und allerlei Rundbögen werfen wir einen Blick in das Innere des heutigen Ratskellergebäudes. Dass hier einstmals Lehrlinge in Handwerkskünsten ausgebildet wurden, zeigt der von Meßwarb entworfene eindrucksvolle Saal mit seinen Zunftzeichen.
Nur schwerlich können wir uns von diesem bedeutenden Zeitzeugen der Vergangenheit losreißen. Dennoch schauen wir weiter, ob noch irgendwo in der Nähe ein Türspruch oder ein verspielter Erker zu finden ist. An einem weiß verputzten Uhrturm mit Stadtwappen und Sonnenuhr stoppen wir. Er ist das jüngste Bauwerk der Rehburger Bauart und datiert aus dem Jahr 1937.
Etliche weitere bauliche Besonderheiten im Rehburger Baustil, der sich aus Anleihen unterschiedlicher Stilepochen zusammensetzt, gibt es auch im Umland zu sehen. Hier sind die Wandelhalle des Bad Rehburger Kurparks, der Vierungsturm der Klosterkirche Loccum und die neugotische Kirche in Leese zu nennen. Doch auch in Orten der Region Hannover tummelt sich vereinzelt der Meßwarbsche Baustil. Beispielsweise trägt das Dorfgemeinschaftshaus im tourismusgeprägten Mardorf am Nordufer des Steinhuder Meeres die Handschrift der Rehburger Architekten. Ebenso der Kirchturmaufbau im nahegelegenen Ort Schneeren.
So heißt es also Augen auf und genau hingesehen, wenn Historismus, Klassizismus, Jugendstil und andere Stilrichtungen an Gebäuden aufeinandertreffen. Womöglich sind hier vor vielen Jahren die Rehburger Architekten Wilhelm und Ernst Meßwarb am Werk gewesen. #