Sabine Güse-Henschel: „Wir sind das Lübecker Marzipan von Hannover“

28. Februar 2025 / Im Gespräch

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Text: Bernd Schwope

2024 war das Jahr für das 1921 gegründete hannoversche Traditionsunternehmen Trüffel Güse: Die Trüffel- und Schokoladenmanufaktur gewann den Stadt-Hannover-Preis für Unternehmen und landete bei der Schokoladen-WM mit der Kreation „Simply The Best“ auf dem ersten Platz. radius/30 sprach mit Firmenchefin Sabine Güse-Henschel über den täglichen Genuss von Schokolade, das Erfolgsgeheimnis von Familienunternehmen und warum Reduktion manchmal den größten Mehrwert erzielen kann.

radius/30: War es für Sie immer klar, dass Sie irgendwann den elterlichen Betrieb übernehmen? Oder hätten Sie auch einen anderen Weg einschlagen können?

Sabine Güse-Henschel: Kaufmannsladen habe ich schon als Kind mit unglaublicher Leidenschaft gerne und oft gespielt; mit meinem Bruder, meiner Freundin oder mit den vielen Cousins und Cousinen. Mit 14 wusste ich, dass ich Betriebswirtschaft studieren möchte und es war für mich eigentlich immer klar, im Betrieb eine kaufmännische Lehre zu machen.

Sie hatten aber immer die Vorstellung, irgendwann in das Familienunternehmen einzusteigen?

Dass ich tatsächlich in dieses Unternehmen einsteige, ist – ob man mir das glaubt oder nicht – mit meiner Familie nie besprochen worden. Das Interesse war da. Seit ich denken kann, habe ich im elterlichen Betrieb verkauft. Ich erinnere mich, auf einer Cola-Kiste stehend, kassiert zu haben. Dann aber verstarb 1987 mein Vater recht plötzlich. Ich war 22 und mein Bruder 21 Jahre alt, als wir das Unternehmen erbten.

Dieses Selbstverständnis ist in Familienunternehmen eher selten. Die Staffelübergabe an die nächste Generation ist ein Problem – aus welchen Gründen auch immer. Das war für Sie aber nie ein Thema?

Nein. Ich habe schon immer die Freiheit meines Vaters bewundert. Er war ja auch noch Vizepräsident des Welt-Fechtverbandes. Als er gefragt wurde, wie er diese Aufgaben zeitlich meistert, hat er alle Finger seiner beiden Hände gezeigt. Und dann nur auf seinen Daumen gezeigt und gesagt: „Und mit dem führe ich Trüffel Güse“.

Hat das bei Ihnen auch mit einem Daumen geklappt? 

Erst mal fand ich es ausgesprochen reizvoll, selbstständig zu arbeiten. Nachher war das aber überhaupt nicht so easy. Mein Bruder und ich haben zwei Hände voll gearbeitet, von morgens bis abends.

Wie sind Sie das angegangen?

Wir haben uns aufgeteilt. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten. Mein Bruder ist ein sehr analytischer Mensch. Und ich bin vielleicht eher emotional. So hat sich das für die verschiedenen Aufgabenbereiche super ergänzt. Natürlich waren wir seit Kindertagen öfter anderer Meinung. Aber das stellte sich als eher positiv für das Unternehmen dar. Wenn man immer einer Meinung ist, wird’s doch schnell langweilig. Wenn einer A und die andere B sagt, ist das C vielleicht doch die beste Lösung? Unsere charakterliche Unterschiedlichkeit war sicherlich hilfreich in der Unternehmensführung. Wir machen das seit 37 Jahren zusammen.

Gab es jemals Unterstützung von außerhalb? Etwa jemand, der – sagen wir – das Controlling macht?

Nein. Natürlich gab es jemand, der die Buchführung für uns stemmte. Aber wir hatten keinen externen Prokuristen. 

Welche Werte und Traditionen hat Ihnen Ihr Vater vermittelt? Mussten Sie lieb gewonnene
Tugenden und Muster in sich immer schneller drehenden Zeitzirkeln über Bord werfen? 

Wir haben ein gesundes Unternehmen mit einer guten Grundlage übernommen, das aber nicht mehr unbedingt dem Zeitgeist entsprach. Aber wir hatten die Zeit, die verschiedenen Bereiche zu verändern. Wenn man als Kaufmann stehen bleibt oder den alten Zopf immer weiterflechten will, dann ist es schwierig, ein Unternehmen erfolgreich weiterzuführen. Wir hatten Filialen übernommen. Die mussten wir erst mal sanieren. Mein Vater war herzkrank. Und er hatte am Ende nicht mehr die Kraft, alles auf dem neusten Stand zu halten. Mein Vater hatte so viele gute Ideen. Er richtete das Unternehmen seines Vaters auch gänzlich anders aus. Als mein Bruder und ich mit dem Aufräumen begannen, beschäftigten wir uns intensiv mit neuen Konzepten. Da sich zudem die Expo bereits in den 90er-Jahren ankündigte, begannen wir auch mit dem Ausbau der zehn Messe-Filialen.

Man muss jetzt dem Laien erklären: Sie haben nicht nur Trüffel produziert und in Innenstadtfilialen verkauft, sondern hatten auch Verkaufsflächen auf dem Messegelände. Korrekt?

Es gab und gibt drei Standbeine des Unternehmens. Da ist erst mal die Schokoladen- und Trüffelmanufaktur, mit der Trüffel Güse 1921 angefangen hat. Der Verkauf unserer Produkte und anderer Süßwaren in eigenen Süßwarenfilialen war ein weiteres Standbein und es gab von 1947 bis 2014 Supermärkte mit Kantinen auf dem Messegelände. Einzig unverändert geblieben ist die Manufaktur. Wir fertigen noch heute wie zu Zeiten unseres Großvaters. Das ist – denke ich – das Geheimnis, warum es uns noch heute gibt. Man hätte mit Hohlkörpern arbeiten können oder sich die Arbeit mit vielen Maschinen leichter machen können. Aber nein, es ist handwerklich geblieben – mit dem Handwerkszeug und den Töpfen unseres Großvaters. Wir haben uns erst jetzt von dem Preisgeld des Stadt-Hannover-Preises eine Maschine angeschafft. Das ist aber nur eine Temperiermaschine, weil wir mit dem Temperieren von Schokolade auf unseren Marmortischen die nachgefragten Mengen nicht schaffen können.

Will heißen: Sie schaffen es nicht, so viel zu produzieren, wie Ihre Produkte in Hannover konsumiert werden?

So ist es.

Aber kommen wir noch mal zu den drei Standbeinen zurück. Was haben Sie verändert?

Wir haben die Filialen neu gestaltet. Unsere Läden auf der Messe funktionierten eher als Supermärkte mit Bockwurst und Kartoffelsalat. Innerhalb von ein, zwei Jahren haben wir diesen Bockwurst-Supermarkt in eine Art Aufbau-Kantine mit 40 Gerichten verwandelt. Wenn die Domotex anstand, wurde vegetarisch-indisch gekocht, bei der Agritechnica gab es wunderbarstes Riesenschnitzel. Wir haben für Microsoft das Catering geliefert oder eine der größten Messe-Partys ausstatten dürfen, wo wir 40, 50 Fässer Kölsch ausgeschenkt haben. 

Und heute?

Die Messe wollte das irgendwann selber machen. Bis 2014 sind wir dort aktiv gewesen; bis mein Bruder und ich sagten, jetzt ist mal gut. Wir hatten uns fast 10 Jahre lang gegen eine Übernahme gewehrt. Das waren keine angenehmen Zeiten. Aber schlussendlich war auch das eine gute Entscheidung, zum Glück, denn danach kam Corona. Wir waren seit 1947 auf der Messe ansässig. In der Straßenbahn hatte mein Großvater von einem Freund, der die Messe im Auftrag der Amerikaner entwickeln sollte, einen ersten Standort zugesagt bekommen. Das Messegelände zu verlassen, ist uns nicht leichtgefallen. 

Sie haben sich vom Messegeschäft getrennt. Und von Ihren Filialen, bis auf eine in der Rathenaustraße. War das ein schmerzlicher Prozess für Sie?

Es steckte ein Jahrzehnt dahinter. Warum haben wir das gemacht? Da kamen so viele Dinge zusammen. Wir haben nicht von heute auf morgen unser Geschäft auf eine Filiale reduziert. Durch den Passarelle-Neubau mussten wir diese Filiale vorübergehend schließen. Dann wurde die Miete stark erhöht. Als Händler für Lindt und Co, die wir seinerzeit noch verkauft haben, war unsere Spanne zu gering, als dass wir uns die teuren Innenstadtlagen hätten leisten können. Wenn Sie das abzüglich aller Kosten rechnen, dann lohnt sich das Geschäft einfach nicht. Dazu kam: Die Kaufhäuser hatten alle große Süßwarenabteilungen. Die Mitbewerberzahl war groß in Hannover: Arko, Chocolata, das Süße Kaufhaus. Wenn Sie sich die Lage heute anschauen, dann sehen Sie, dass es nicht mehr viele von den Kollegen gibt. Man muss auch bedenken, dass wir zu dieser Zeit noch das superintensive Messegeschäft betrieben. Die Messe boomte. 

Den Stadt-Hannover-Preis aber hätten Sie nicht erhalten, wenn Sie nur noch abgebaut hätten. Was ist passiert? 

Mit dem Abbau der Süßwarenfilialen haben wir zeitgleich einen Geschenkeservice aufgebaut, mit dem ich bis heute Tausende von Kundengeschenken fertige. Das sogenannte Geschenkezimmer hat meine Produktion wunderbar ausgelastet. Wir haben uns voll und ganz auf die Fertigung von Trüffel Güse Produkten konzentriert. Wir haben also den Geschenkeservice ausgebaut und suchten uns 14 Wiederverkäufer, die für uns handgemachte Schokolade und Trüffel verkaufen, wie etwa die Familie Wucherpfennig mit ihren Edeka-Centern. Das wird fabelhaft angenommen.

Ihre mittlerweile geschlossene Filiale am Steintor, Ecke Nordmannpassage war ja lange eine der kulinarischen Attraktionen der Innenstadt, vergleichbar dem Kröpcke, Teestübchen oder Bratwurst-Glöckle. Vermissen Sie den Standort?

Als wir uns nach 70 Jahren dort verabschieden mussten, habe ich tatsächlich geweint. Auch zum Weinen: An dem letzten Verkaufstag hat man uns noch die Kasse geklaut. Das war das letzte Zeichen, dass jetzt Feierabend ist. Jetzt reicht’s! Ich will das nicht mehr: Mit drei Kindern zu Hause, der Messe im Rücken, der vielen Arbeit. Aber die Filiale jetzt in der Rathenaustraße steht der Nordmannpassage in nichts nach. Eher besser, weil die dort ausgesuchten Schokoladen-Spezialitäten von herausragender Qualität sind.

So etwas wie einen 9-to-5-Job kennen Sie bestimmt gar nicht. Wie muss man sich einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?

In meinem sogenannten ersten Leben, als wir noch die Messe betrieben haben, habe ich bis auf sechs Wochen Sommerferien gefühlt durchgearbeitet. Wenn Sie im Jahr zehn Messen betreuen, bedeutet das je nach Messe drei bis sechs Wochen Aufbau. Da waren mein Bruder und ich schon fleißig. 

Sie sind dreifache Mutter. Gab es so etwas wie Elternzeit für sie?

Das ist das Schicksal und die Freiheit der Selbstständigen. Da ich meine drei Kinder zum Beispiel gestillt habe, bin ich zigmal am Tag von der Messe ganz schnell nach Hause gefahren, hab mich um sie gekümmert und bin dann wieder zurückgefahren.

Wozu haben Sie noch Zeit neben Familie und Trüffel Güse? 

Nun, ich bin sehr gesellig. Die Zeit dafür hat man – natürlich!

Wie ist Ihre Beziehung zum eigenen Produkt? Ihr Vater hätte ja auch einen Sanitärgroßhandel betreiben können. Wären Sie mit gleicher Leidenschaft dabei gewesen?

Dafür hätte ich mich auch begeistern lassen. Es ist das Kaufmännische, das mich am meisten reizt. Aber es ist auch die grenzenlose Möglichkeit, kreativ sein zu können. Da ist Schokolade sicherlich ein grenzenloseres Metier. Aber wie man jetzt mit diesen Awards sieht, die ja nicht vom Himmel fallen, scheine ich doch auch Schokoladen-Geschmack zu haben. Das liegt sicher auch daran, dass ich zeitlebens täglich Schokolade esse. 

Damit haben Sie eine noch nicht gestellte Frage von mir beantwortet. Das ist wirklich so? Auch die neuen Kreationen?

Jawohl, ich esse täglich Schokolade, leider …

Dubai-Schokolade ist natürlich auch dabei.

Die Duubai finde ich besonders köstlich

Sie sind Kauffrau. Und leben dennoch Ihre kreative Ader aus?

Das ist doch bei vielen Selbstständigen so. Sie können kein Schokoladenproduzent sein, wenn Sie nicht kreativ sind. Das ist eine absolute Grundvoraussetzung. Aber ich habe auch Glück, denn oft empfinde ich meine Arbeit eher als mein Hobby, weil es mir solche Freude bereitet.

Das vollständige Interview mit Sabine Güse-Henschel …

… finden Sie in der radius/30 Ausgabe Februar/März.


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