Arbeiten im Hospiz Luise in Hannover: zwischen Leben und Tod

25. Juni 2021 / Erstlingswerk

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Dana Heiden im Garten des Hospizes Luise

„Es ist immer ein toller Partykracher, wenn ich erzähle, was ich beruflich mache. Dann herrscht erst einmal Stille“, erzählt Dana Heiden. Die 35-Jährige ist seit sieben Jahren in der Hospizarbeit tätig. Seit Januar letzten Jahres arbeitet sie im Hospiz Luise in Hannover.

Dass ihr die medizinischen Grenzbereiche wie Kreissaal, Psychiatrie und Onkologie liegen, bemerkte Dana bereits mit 17 Jahren in ihrer Ausbildung. Schon früh stand für sie fest, später in die Palliativmedizin zu gehen. „Das ist etwas, was man nicht ganz lernen kann. Da muss man sich für berufen fühlen“, erklärt Dana.

Acht Patienten beherbergt das Hospiz Luise in Hannover. Der Alltag richtet sich ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen. Von einer Maniküre bis hin zum Gottesdienst werden alle Wünsche erfüllt. Dana und ihre Kollegen stehen ihren Patienten als feste Bezugspersonen bei und legen den Finger auf die Stellen, wo es seelisch besonders drückt. Das sei kein Vergleich zu einem Krankenhaus. „Dort klingelt man und jedes Mal kommt eine andere Person. Auf einer gewöhnlichen Station mit 30 oder 40 Patienten fehlen einfach Zeit und Kapazitäten für eine individuelle Betreuung.“ In ihren Schichten betreut Dana zwei bis drei Patienten. Nur so gelingt das, was in der Sterbebegleitung als essenziell gilt – Vertrauen aufbauen. „Sterben ist etwas sehr Intimes“, erklärt Dana. „Das erlebt man wie die Geburt nur ein Mal. Da ist es wichtig, dass wir den Patienten Sicherheit geben.“

Fünfzehn Minuten

So lange dauerte Danas kürzeste Sterbebegleitung an. Das längste waren eineinhalb Jahre. „Manchmal stagniert die Krankheit sehr lange. Gerade wohnen hier auch Gäste, die seit Monaten stabil sind.“ Im Schnitt verbringen Patienten 21 Tage im Hospiz. So individuell die Menschen sind, so unterschiedlich werden sie auch verabschiedet. Je nach Religion findet eine letzte Ölung statt oder eine Segnung durch den Pastor. Den Verstorbenen wird ihre Lieblingskleidung angezogen, sie können geschminkt werden oder die Nägel lackiert bekommen.

Auch das Zimmer wird hergerichtet und geschmückt. „So können sich die Angehörigen mit einem friedlichen Bild verabschieden.“ Dana selbst könne sich für ihre eigene Trauerverarbeitung jederzeit Unterstützung im Team suchen. Bei einer monatlichen Supervision mit psychologischer Moderation erinnern sie sich gemeinsam an die verstorbenen Patienten und besprechen Themen, die sie belasten. „Ich für meinen Teil gehe nach der Arbeit gern mit meinem Hund spazieren, um abzuschalten“, sagt Dana. Man könne nicht alles mit nach Hause nehmen. „Wenn Feierabend ist, dann ist Feierabend.“

Lebensfreude auch im Hospiz in Hannover

„Die meisten Menschen assoziieren das Hospiz mit einem Sterbehaus“, erzählt Dana, „ein schrecklicher Ort, wo nicht gelacht und gelebt wird.“ Die Realität sieht anders aus. Für viele Patienten sei es eine große Befreiung, im Hospiz Luise aufgenommen zu werden. Sie gewinnen hier an neuer Lebensqualität. Dana erinnert sich lachend an eine Silvesternacht. „Das war eine sehr ausgelassene Runde. Die Patienten haben nach eigenem Hausrezept Eierlikör zubereitet und der ein oder andere konnte sich ordentlich betrinken. Ein Patient hat sich auf dem Weg ins Bett sogar die Schulter verknackst. Am nächsten Tag hat er allen ganz stolz davon berichtet.“

Es sei schön mit anzusehen, wie die Menschen noch einmal aufblühen, neue Freundschaften schließen und eine Gemeinschaft entsteht. Den Patienten werden die Symptome und Schmerzen genommen, vor allem aber die Angst vor der eigenen Sterblichkeit. Schon oft sei es vorgekommen, dass sich die Erkrankung stabilisiert und ein Patient wieder Kraft hat, nach Hause zu gehen. „Das ist hier nicht immer das finale Ende.“

„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

Cicely Saunders (†2005), Begründerin der modernen Hospizbewegung
Hospiz Hannover
Das Hospiz Luise in der Brakestraße 2D, Hannover

„Nach einem Jahr Corona sind wir alle erschöpft.“

Seit Beginn des ersten Lockdowns konnte hier in der Brakestraße 2D nicht mehr gemeinsam gesungen, gebacken und gelacht werden. Der lichterfüllte Wintergarten des Hospizes, in dem Pflegekräfte, Patienten und ihre Angehörigen in großer Runde zusammen Mahlzeiten eingenommen haben, ist nun verlassen. „Wir sind normalerweise ein offenes, buntes Haus. Jetzt ist es hier deutlich ruhiger.“ Dana und ihre Kollegen versuchen, alle Sorgen und Ängste aufzufangen. Dennoch gehe ein Großteil an Trauerarbeit verloren.

Die Kontaktbeschränkungen machen keinen Halt vor den Sterbenden und ihren Liebsten. Maximal zwei Personen dürfen zu den Besuchszeiten kommen. „Es ist furchtbar, den Angehörigen mitzuteilen, dass sie nicht alle kommen dürfen“, berichtet Dana. Es fehle an Nähe und Menschlichkeit. Sich einfach mal in den Arm zu nehmen, Beistand und Herzlichkeit verspüren – das verbieten die Abstandsregeln. Selbst ein aufrichtiges Lächeln bleibt hinter dem blauen Mund-Nasen-Schutz verborgen. In seltenen Ausnahmen ziehe Dana sich unter gebührlichem Abstand auch mal die Maske herunter, damit ihre Patienten eine lächelnde Person zu Gesicht bekommen und wissen, wer da eigentlich jeden Tag zu ihnen kommt. „Nach einem Jahr Corona sind wir alle erschöpft“, gesteht sie ein. 

Tabuthema Tod

Die Arbeit im Hospiz hat Danas Einstellung zum Leben verändert. „Mir fehlt die Geduld für Smalltalk“, sagt die 35-Jährige. Stattdessen spreche sie Dinge, die sie belasten, freiheraus an. Von ihren Patienten habe sie gelernt, sich nicht von Bagatellen den Tag verderben zu lassen. „Niemand bereut es am Ende seines Lebens, die Tafel Schokolade gegessen oder zu wenig gearbeitet zu haben.“ Dana lebe durch ihre Arbeit bewusster und authentischer. Dennoch findet sie, dass dem Thema Tod zu wenig Raum in der Gesellschaft gegeben wird. „Es findet zu viel Verdrängung statt. Die meisten Menschen haben Angst, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen.“ Dabei sei Sterben etwas ganz Natürliches und nichts Pathologisches. Dana wünscht sich, dass bereits in Schulen und Kindergärten offener mit dem Thema umgegangen wird. „Wir müssen diese unbekannte Schwärze benennen“, appelliert Dana. „Sterben passiert nicht nur den Kranken und hinter verschlossenen Türen – es passiert uns allen.“

Autorin: Lena Kunitz
Fotos: Lena Kunitz

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