Artenvielfalt in der Region Hannover

08. Juli 2021 / Natur und Umwelt

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Die Gelbbindige Furchenbiene war 2018 die Wildbiene des Jahres.

Schottergärten, Klimawandel oder exotische Pflanzenarten bedrohen und verdrängen die hier heimischen Tier- und Pflanzenarten. Dabei sind wir auf sie angewiesen. Höchste Zeit, uns mehr mit dem Thema Artenvielfalt zu beschäftigen und zu ihrem Erhalt beizutragen. Ein Beispiel dafür ist die Renaturierung einer Streuobstwiese in Wettmar, einem Ortsteil von Burgwedel.

Das Projekt ist die erste konkrete Maßnahme des neuen Naturschutzbeauftragten aus Burgwedel, Michael Krelle. Die Streuobstwiese, die die Stadt Burgwedel in Kooperation mit ihm ab Frühjahr renaturieren wird, wirkt im Februar unscheinbar: Mehrere kleine Obstbäume stehen in Reihen auf der Fläche hinter dem Schützenplatz in Wettmar. Die Herausforderung: Nicht alle Bäume, die gepflanzt wurden, kommen mit den Bodenverhältnissen zurecht. Einige sind bereits abgestorben. Um sich ein umfassendes Bild des Ist-Zustandes machen zu können, erfolgt eine genaue Analyse, was erhalten bleiben kann.

„Ich sehe die Anlagen von Streuobstwiesen kritisch“, erklärt Krelle. „Das Obst wird heutzutage nicht mehr abgesammelt, bleibt liegen und verrottet. Das zieht Wespen an und auch wenn ich Wespen- und Hornissenbeauftragter bin und mich sehr für sie einsetze, bin ich der Meinung, dass man sie nicht künstlich anlocken muss. Wenn dann Menschen dort gestochen werden, ist der Ärger groß.“ Mehr als 600 Wespenarten leben in Deutschland und leisten einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität, denn sie bestäuben Blüten und fressen Schädlinge. „Es sind nur die Deutsche und die Gemeine Wespe, die vermeintlich nerven. Eine Wespe muss uns ertasten können, um festzustellen, dass wir für sie uninteressant sind. Dazu muss sie einmal landen – das ist natürlich für die meisten Menschen bereits zu viel Nervenkitzel.“

Doch nicht nur Wespen sind ein Problem bei verrottendem Obst: Es ist nicht gut für eine Blühwiese, da dort nichts wachsen kann, wo Obst verrottet. „Gepflegte Streuobstwiesen sind ökologisch wichtig für die Natur, ungepflegte Streuobstwiesen sind kein gutes Bild für die Landschaftspflege“, erklärt Krelle. „Die Wiesen müssen regelmäßig gepflegt werden, aber kaum jemand fühlt sich für sie verantwortlich. Streuobstwiesen, die jetzt schon da sind, sollten auch erhalten werden, bei der Neuanlage sollte aber vorab geklärt sein, wer sich darum kümmert. Auch das ist Teil meiner Öffentlichkeitsarbeit: Ich möchte zeigen, dass man Insekten mehr anbieten kann als ‚nur Apfelbäume‘. Bienen gehen beispielsweise auch gerne an heimische Sträucher und Büsche.“

Eine Streuobstwiese
Die Streuobstwiese in Wettmar sieht momentan eher unscheinbar aus.

Deshalb ist sein Plan für die Streuobstwiese: eine Mischung aus Streuobst- und Blühwiese. Der Bestand, der noch in Ordnung ist, bleibt unangetastet und wird ergänzt durch Bäume, die eine gewisse Höhe nicht überschreiten. „Hier kann nichts ganz Hohes hin, die Bäume müssen ins Gesamtbild der Landschaft passen“, erläutert Krelle den Plan. „Im Unterbau soll eine Blühwiese entstehen. Wir wollen Findlinge aufstellen für Reptilien, die die Wärme benötigen, und Totholz für Insekten, die ein natürliches Habitat den Insektenhotels vorziehen.“

Insgesamt wird eine große Vielfalt an Nahrung und Unterkünften für Insekten und Reptilien angeboten, denn noch ist unklar, welche Tiere und Pflanzen dort natürlicherweise leben. Ab dann ist Geduld gefragt: Bei einer neuen Nisthilfe kann es ein bis zwei Jahre dauern, bis neue Bewohner dort einziehen, denn viele Faktoren müssen zusammenspielen: Es muss Nahrung vorhanden sein, die Nisthilfen müssen den Anforderungen entsprechen und natürlich muss auch das Wetter mitspielen. „Die Wildbiene lebt nur 4 bis 6 Wochen, sie sind absolute Spezialisten. Wenn nur ein Faktor nicht stimmt, kommen sie nicht“, erläutert Krelle.

Stechimmen – dazu gehören neben den Honigbienen Faltenwespen sowie Ameisen – liegen dem Wespen- und Hornissenberater besonders am Herzen. Er bewirtschaftet selbst fünf wesensgemäß gehaltene Bienenvölker.
Darüber hinaus beteiligt sich der 46-Jährige als einer von acht Imkern aus Deutschland am europäischen Forschungsprojekt B-Good. Über zwei Jahre beschäftigt sich dieses Projekt mit der Digitalisierung der imkerlichen Praxis zur Verbesserung der Bienengesundheit. Je acht Imker mit je drei Völkern aus den Niederlanden, Deutschland, Schweiz, Finnland und Italien nehmen an dem Forschungsprojekt teil. Der gefährlichste Feind der Bienen ist die Varroamilbe, die in den 70er-Jahren eingeschleppt wurde.

Bienensterben – großer Irrtum

Über „das Bienensterben“ wurde in den letzten Jahren mehr und mehr in den Medien berichtet. Mit „Biene“ assoziierten die meisten Menschen die Honigbiene und fürchteten ihr Aussterben. Doch das Überleben der Honigbiene ist gesichert: Weltweit ist eine Zunahme an Imkern und Bienenvölkern wahrzunehmen. In Niedersachsen sind in den vergangenen fünf Jahren mehr als 25 Prozent Neuimker registriert worden. Vom Aussterben bedroht sind die Wildbienen (Solitärbienen wie Mauerbienen, Hosenbienen, Sandbienen, Furchenbienen oder Maskenbienen). Über 60 Prozent der ca. 560 Wildbienenarten sind in Deutschland bedroht. Sie sind Spezialisten und haben ganz spezifische Ansprüche an Lebensraum und Nahrung. Und sie sind wichtig für die Natur, denn die Honigbiene kann ihre Aufgaben nicht ersetzen. Viele Pflanzen sind aufgrund ihrer Blüten und Pollen auf eine ganz bestimmte Bienenart zur Bestäubung angewiesen – wie ein „Schlüssel-Schloss-Prinzip“.

Stadt-Imkerei – ein gefährlicher Trend

Durch das vermeintliche Bienensterben sind viele Menschen aktiv geworden und imkern im eigenen Garten oder auf dem Balkon. Und auch die Industrie hat entdeckt, dass sich damit gut Geld verdienen lässt. Michael Krelle sieht diese Entwicklung extrem kritisch, weil vielen Hobbyimkern Wissen und Erfahrung fehlen und die Situation für die Wildbienen so eher verschlimmert als verbessert wird: „Es gibt ein Zertifikat vom Imkerverband, das aber noch lange kein Grundwissen darstellt. Wirklich Erfahrung hat man erst nach drei bis vier Jahren. Nicht umsonst ist Imkerei ein Beruf und ein Bienenhalter ist noch lange kein Imker. Durch den Trend, auf dem eigenen Balkon zu imkern, entstehen immer mehr umgangssprachlich sogenannte ‚Varroa-Schleudern‘, die andere Bienenvölker und Wildbienen in Gefahr bringen. Eine Kontrolle ist schwierig, weil der Zugang kaum möglich ist. Auch die Idee ‚Ich will eigenen Honig‘ sollte kein Argument für die Anschaffung eigener Bienenvölker sein. Schließlich ist Honig ein Lebensmittel und sollte auch unter dementsprechenden Auflagen produziert werden. Meine Empfehlung ist: Wer sich für Bienen und die Imkerei interessiert, sollte sich einen erfahrenen Imker suchen und bei ihm mindestens ein Bienenjahr inklusive Überwinterung mitmachen. Die Honigbiene ist eine Konkurrenz zur Wildbiene. Und wer imkern möchte, sollte zur Auflage bekommen, auf einer Ausgleichsfläche eine Nisthilfe für Wildbienen zu errichten – das wäre mein Wunsch.“

Unterstützung für Wildbienen

Was kann man aber denn nun unternehmen, wenn man den Wildbienen etwas Gutes tun möchte? „Es ist ganz einfach“, erklärt Michael Krelle. „Oft wird eine Riesenshow um Naturschutz gemacht, dabei ist doch schon alles da. Der erste Schritt ist deshalb zu beobachten, was auf einer Fläche bereits wächst. Im zweiten Schritt lässt sich das dann gezielt pflegen und fördern.“

Überall lasse sich etwas machen, um Wildbienen zu unterstützen. „Gleichzeitig sollen die Eigentümer auch Spaß daran haben, dann ist es richtig und langfristig. Der größte Fehler ist eine Versiegelung von Flächen. Besser ist es, möglichst viel unberührt zu lassen. Und auf einheimische Pflanzen zu setzen. Kornblumen und Disteln, Vogelmiere oder Beifuß und Ferkelkraut sind tolle Pflanzen und völlig unterschätzt – oft kommt es nur auf die richtige Präsentation der Pflanze an und sie kann mit jedem exotischen Gewächs mithalten. Wir müssen lernen, die heimischen Pflanzen wieder mehr wertzuschätzen.“ 

Michael Krelle

Naturschutzbeauftragter für Burgwedel, Wespen- und Hornissenbeauftragter und wesensgemäßer Bienenhalter mit Beteiligung am Forschungsprojekt B-Good – der 46-Jährige setzt sich mit großem Engagement für Natur und Umwelt ein.

Christiane Gallinat

Mit viel Liebe zum Detail dokumentiert die Naturfotografin seit über 10 Jahren den Wandel der Artenvielfalt: „Meinen Enkeln kann ich manche Insekten vielleicht nur noch auf Bildern zeigen, weil sie in freier Wildbahn ausgestorben sind.“
www.naturfotosimweb.de

Text: Susanne Bührer
Bilder: Christiane Gallinat

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