Im Gespräch mit Doris Schröder-Köpf

30. Dezember 2021 / Im Gespräch

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Journalistin, Ex-Kanzlergattin, SPD-Politikerin, Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Bayerin in Niedersachsen – Doris Schröder-Köpf blickt auf eine beeindruckende Vita zurück. Am Ende unseres Gesprächs sagt sie noch einmal: „Nun, Sie haben jetzt mitbekommen, was mir am Herzen liegt“. Aber lesen Sie selbst …

radius/30: Frau Schröder-Köpf, Sie sind ausgebildete Journalistin. Wenn Sie sich in meine Lage versetzen: Welche Einstiegsfrage würden Sie sich selber stellen?

Doris Schröder-Köpf: Meine Frage würde lauten: Mit welchen Hoffnungen beobachten Sie die Koalitionsgespräche in Berlin im Bereich Migration und Teilhabe?

Und Ihre Antwort wäre?

In den vielen Jahren als ehrenamtlich tätige Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe habe ich mich häufig über ausländer- und asylrechtliche Regelungen geärgert, aber auf Landesebene nichts daran ändern können. Asyl- und Ausländerrecht, Staatsangehörigkeitsrecht beruhen auf Bundes- oder gar Europarecht. Es entscheiden Berlin oder Brüssel, nicht wir. Aber wir tragen mit unseren Kommunen die Herausforderungen, die Flucht und Einwanderung mit sich bringen, zum Beispiel an den Schulen oder beim Zusammenleben in der Gemeinde, im Stadtteil.

Sie sind also de facto der Ansprechpartner für viele Betroffene vor Ort?

Richtig. Integration findet vor Ort statt. Dort sitzen die Expertinnen und Experten fürs Zusammenleben der unterschiedlichsten Gruppen. In Niedersachsen stellen Polinnen und Polen die größte Zuwanderergruppe. Sie kommen im Rahmen der EU-Freizügigkeit. Die Hotellerie an der Küste, auf den Inseln, im Harz oder der Lüneburger Heide würde nicht ohne diese Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland funktionieren, ebenso keine Ernte. In unseren Pflegeeinrichtungen arbeiten Menschen aus der ganzen Welt. Auch diese Menschen brauchen Unterstützung und Hilfe, nicht nur Geflüchtete, wie man oft denkt. Auf Bundesebene müssen endlich Konsequenzen aus der Tatsache gezogen werden, dass Deutschland eines der größten Einwanderungsländer der Erde ist und entsprechende, auf Dauer angelegte Strukturen braucht!

Wie soll das passieren?

Alle großen Einwanderungsländer wie Kanada oder die USA haben entsprechende Ministerien und Behörden, haben dauerhaft finanzierte Stellen beispielsweise für Sprachunterricht und Beratung. Meine – realistische – Hoffnung ist, dass die Verhandelnden von SPD, Grünen und FDP unser Land in diesem Bereich endlich ins 21. Jahrhundert bringen!

Ganz plump gefragt: Was ist eigentlich Ihre Aufgabe als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe? Was genau machen Sie da?

Ich bin 2013 per Kabinettsbeschluss der rot-grünen Regierung in diese Funktion eingesetzt worden. Vorher gab es nur einen Landesbeauftragten für Vertriebene und Spätaussiedler, der im Landesinnenministerium angesiedelt war. Mein Zuständigkeitsbereich umfasst alle Personen, die als Ausländer*innen in unser Land kommen bzw. deren Eltern oder Großeltern hierher eingewandert oder geflüchtet sind. Ich ergänze die Aufgabenbereiche der Sozialministerin und des Innenministers und kann in meiner Ombudsfunktion jederzeit jenseits von Kabinettsbeschlüssen Partei ergreifen für die Menschen, die meine Unterstützung suchen. Mich binden auch nicht Beschlüsse von Integrationsministerkonferenzen. Ich kann, darf und soll – das ist ausdrücklich gewünscht – weiter gehen. Jenseits jeder Hierarchie. Aber natürlich innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Diese Freiheit haben nicht alle Landesbeauftragten in den anderen Bundesländern.

Das hört sich sehr lebendig und spannend an – abgekoppelt vom Politiker-Alltag. Welche Aufgaben stellen sich Ihnen in dieser Funktion?

Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Man kann keinen Standard-Alltag beschreiben, weil jeder Tag anders verläuft. Sie müssen sich das so vorstellen: Mein Hauptberuf ist ja der der Landtagsabgeordneten. Ich habe einen Wahlkreis gewonnen und bin Abgeordnete in der Stadt Hannover. Zudem fungiere ich als stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses und habe natürlich auch im Landtag zu tun. Vor Corona bin ich durch das ganze Land gereist, um als Landesbeauftragte Veranstaltungen zu besuchen, Gespräche zu führen. Hier in Niedersachsen engagieren sich sehr viele Menschen haupt- und ehrenamtlich in vielfältigster Weise im Bereich Migration und Integration. Sie begleiten Migrantinnen und Migranten zum Arbeitsamt, zur Ausländerbehörde. Sie helfen ihnen, Deutsch zu lernen. Ich versuche, so viel wie möglich an Anregungen und auch an Kritik aufzunehmen, um Sachen besser machen zu können und an die richtigen Stellen zu bringen.

Sie sind also eine Art Mittlerin zwischen Hilfesuchenden und der staatlichen Seite?

An uns wenden sich natürlich Menschen, die in Not sind. Momentan sind es bedrückend viele Menschen aus Afghanistan, die eine unfassbare Angst um ihre Angehörigen haben. Wir versuchen zu helfen, wo es geht. Aber ich kann nicht bewirken, dass die Taliban den Weg frei machen. Wir helfen und vermitteln beim offiziellen Weg über das Auswärtige Amt. Aber wir können natürlich nicht politische Probleme lösen, an denen selbst Großmächte scheitern.

Niedersachsen ist einwohner- wie flächenmäßig ein großes Land mit einer entsprechend hohen Zahl an Migranten. Können Sie allen Anfragen überhaupt gerecht werden?

Wir tun unser Bestes! Ich arbeite ja ehrenamtlich mit einem engagierten kleinen Team, angedockt an die Staatskanzlei. Wir investieren viel Herzblut in unsere gemeinsame Sache. Als Beispiel für unsere Arbeit möchte ich ein Projekt nennen, das wir sehr stark unterstützt haben. In Celle gibt es ein Begegnungszentrum namens „Frauen(t)räume – Räume für Frauen“, ein beliebter Treffpunkt. Dort hat mich die Fluchtgeschichte einer Frau so berührt, dass mir fast die Tränen kamen. Sie hat ihre Fluchtgeschichte, ihre Angst in einer sehr poetischen, sehr ausdrucksstarken Sprache aufgeschrieben. Das Brausen des Meeres etwa beschreibt sie als „Oper des Todes.“ Da war ich mir sicher: Wenn mich das berührt, berührt das auch andere Menschen. Wir brachten mit Unterstützung der Stadt Celle ein Buch heraus: „Die Geschichte einer Flucht – von Raqqa nach Celle“. Aus unserer Initiative ist – mit kleinem Budget – nicht nur ein Buch geworden, sondern gleich eine Veranstaltungsreihe von Lesungen aus dieser Fluchtgeschichte. Es ist sehr wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass hinter der großen Zahl an Flüchtlingen Schicksale stecken, damit das Verständnis für den Menschen hinter der Fluchtgeschichte entsteht. Das sehe ich als eine besonders wichtige Aufgabe an.

Welche Aufgaben sind Ihnen noch wichtig?

Ein besonderes Anliegen ist es mir, Kontakt herzustellen zwischen Menschen, die nach dem 2. Weltkrieg geflüchtet sind, und denen, die jetzt flüchten. Ich habe gemerkt, dass dies ganz viele stark berührt. Die Familienschicksale sind sehr ähnlich. Die Geflüchteten nach dem 2. Weltkrieg kamen nach Niedersachsen mit ihren letzten Habseligkeiten, mit traumatischen Erlebnissen von Flucht und Vertreibung. Sie waren nicht willkommen. Viele haben über Jahrzehnte nicht über ihre Erlebnisse gesprochen und diese Traumata unwillentlich an die nächste Generation vererbt. Als 2015 die Bilder der Geflüchteten an der ungarischen Grenze zu sehen waren, da ist bei vielen der Eiserne Vorhang im Inneren gefallen. In vielen Familien wurde das erste Mal darüber geredet. Etwa mit der Tochter oder der Enkeltochter und wie wichtig es ist, sich für die Geflüchteten von heute zu engagieren.

Leider gibt es aber auch die hässlichen anderen Stimmen. Wie sehen Sie die politische Meinungsbildung der letzten 20 Jahre? Stichworte: Fake News, soziale Medien?

Es hat sich auf jeden Fall vor allem durch die sogenannten sozialen Netzwerke sehr viel verändert. Ich glaube, dass die Vereinzelung der Menschen dazu beiträgt. In einem stabilen Familienverbund hat man dem ein oder anderen den Kopf waschen können oder ihn zurechtgeruckelt, wenn extreme Positionen geäußert wurden. Nun leben immer mehr Menschen alleine. Und es ist nicht mehr der Verein, die Partei oder die Kirchengemeinde, in der man sich trifft …

… sondern in der Blase Internet.

Dort braucht man oft kein Widerwort zu ertragen. Man stellt sich seine Peer Group zusammen und entfreundet alle, die einem nicht nach dem Mund reden.

Und das hat natürlich einen multiplizierenden Effekt.

Ich bekomme bisweilen Hassmails, denen man anmerkt, dass da jemand abends wütend und betrunken vor dem Bildschirm saß und seiner Wut unkontrolliert und unzivilisiert Lauf lässt.

Sie sind sozusagen der Aggressionspuffer für diese Menschen. Erst recht in Ihrem Amt als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe?

Ja genau. Aber nicht nur ich. Alle, die sich engagieren, bekommen etwas ab. Denken Sie nur an die vielen ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Das ist erschreckend. Wir versuchen rechtlich, mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften dagegenzuhalten. Aber da ist eine enorme Flut von Hass. Trotzdem glaube ich: Das ist die Minderheit. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen ein gutes Herz haben und sich engagieren, dann trägt einen das auch! Die Guten sind in der Mehrheit, davon bin ich überzeugt! Die anderen sind eine laute, radikale Minderheit, die aber Furcht einflößen kann. Bei mir schaffen die das nicht. Aber natürlich macht man sich insgesamt Sorgen um die Gesellschaft. Unsere Strategie hier im Landtag, Rechtsradikale auszugrenzen, hat definitiv funktioniert. Die Demokraten in diesem Haus haben den Spaltern keinen Raum gelassen und sie isoliert. Übrigens: Niedersachsen ist immer Spitzenreiter in Sachen Ehrenamt. Das trägt auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Aber deswegen sind Sie nicht nach Niedersachsen gekommen?

Nein (lacht). Ich bin einmal der Liebe wegen nach Niedersachsen gekommen. Diese Liebe ist Geschichte, die Liebe zum Land aber ist geblieben.

Interview: Bernd Schwope
Bilder: Thomas Durka

Das vollständige Interview mit Doris Schröder-Köpf …

… lesen Sie in unserer aktuellen radius/30 Winterausgabe.

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