Seit dem 1. Januar 2023 fungieren Dr. Martin Roll und Maik Blötz als Geschäftsführer am Flughafen Hannover mit über 10.000 Beschäftigten. Sie beerben damit Dr. Hille, der sich nach 18 Jahren im Unternehmen Ende 2022 in den Ruhestand verabschiedete. Wir wollten von beiden wissen: Wie funktioniert solch eine Doppelspitze? Wie stellt sich der Flughafen Hannover den Herausforderungen nach der Corona- und in der Klimakrise?
radius/30: Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind Sie beide als Doppelspitze in der Geschäftsführung des Hannover Airport tätig. Ich stelle mir gerade vor, Hannover 96 hätte eine Doppelspitze in der Geschäftsführung – das ginge gar nicht. Wie geht’s bei Ihnen?
Dr. Martin Roll: Das läuft super. Wir ergänzen uns einfach toll. Von meiner Ausbildung und dem beruflichen Werdegang her besetze ich das Thema Wirtschaft und Finanzen mit dem Schwerpunkt natürlich im Luftverkehr. Hier war ich bereits zuvor in unterschiedlichen leitenden Funktionen und als Geschäftsführer tätig.
Maik Blötz: Und ich komme aus der Richtung Bauingenieurwesen. Ich bediene hier den Bereich Immobilien, Bauen, Digitalisierung und diverse Dienstleistungen. Dabei ergänzen wir uns fachlich und menschlich super. Natürlich besteht ein anderer Abstimmungsbedarf als bei einer Einzelspitze, was aber auch einen sehr großen Vorteil bietet. Durch diese regelmäßige Abstimmung, bei der man immer eine Anspielwand hat, ist auch immer eine gewisse Redundanz, wenn jemand ausfällt.
Wie läuft das im tagtäglichen Ablauf?
Dr. Roll: Die Tür steht immer offen, wir tauschen uns aus. Ein Schlüssel ist, dass wir uns absolut vertrauen. Ich war, soweit ich mich erinnern kann, noch nie so entspannt im Urlaub. Ich wusste, wenn etwas Dringendes ist, werde ich kontaktiert. Und wenn nicht, dann weiß ich, dass es läuft.
Einen Menschen, dem man wirklich vertraut, kennt man meist schon eine lange Zeit. Wie war das bei Ihnen? Haben Sie vorher bereits miteinander gearbeitet?
Dr. Roll: Nachdem Dr. Raoul Hille 19 Jahre die Geschäftsführung des Hannover Airport inne hatte, beschlossen die Gesellschafter, eine Doppelspitze zu besetzen. Allein wegen der Redundanz, dass zwei Geschäftsführer „diskutieren“ müssen, um die besten Lösungen herzubringen. Ich wurde ja zuerst zum Geschäftsführer berufen. Ich konnte noch neun Monate parallel mit Dr. Hille arbeiten. Ihn kannte ich bereits aus meiner Zeit als Bereichsleiter am Flughafen Hannover 2006 bis 2010. Maik Blötz war auch schon vor seiner Bestellung als Geschäftsführer im Unternehmen.
Blötz: Genau, ich bin schon seit 15 Jahren im Unternehmen. Als dann Dr. Roll am 1. März letzten Jahres als Geschäftsführer anfing, war ich noch in meiner alten Funktion tätig. Als ab Sommer letzten Jahres feststand, dass ich zum 1. Januar 2023 der zweite Geschäftsführer werden würde, hatten wir die Situation, dass wir zu dritt ein halbes Jahr parallel gearbeitet haben. Das war natürlich vorteilhaft.
Sie konnten sich also beide langsam aufeinander abstimmen?
Dr. Roll: Da gerade jetzt große Weichenstellungen im Unternehmen anstehen und wir auch die Organisationsstruktur des Unternehmens am 1. Januar umgebaut haben, konnten wir diese bereits in diesem halben Jahr angehen. Es war vom großen Vorteil, dass zum 1. Januar das Set-up stand.
Wie hat sich Ihr Unternehmen nach den Corona-Lockdowns entwickelt? Vielleicht können Sie ausführen, wie der Flughafen Hannover aufgestellt ist und wohin die Reise geht?
Dr. Roll: Grundsätzlich sind wir gut unterwegs. Unser Betriebsmodell ist intakt und unser Kerngeschäft wächst von Jahr zu Jahr. Die Corona-Phase war natürlich eine harte Prüfung. Da war das Geschäft fast am Boden. Wir sind noch nicht wieder auf dem Niveau von 2019.
Wenn ich das richtig gelesen habe, liegen Sie bei ungefähr 60 %?
Dr. Roll: Ungefähr. Wir hatten 2018/2019 jeweils 6,3 Millionen Passagiere; jetzt sind es 4,6 Millionen. Nächstes Jahr erwarten wir schon wieder 5,3 Millionen. Dennoch ist es immer noch wirtschaftlich eine riesige Herausforderung. Wir haben eine große Infrastruktur, drei Start- und Landebahnen, Vorfeldflächen und die Terminals – das muss alles unterhalten werden.
Egal, ob nur ein Passagier oder Hunderte Passagiere durchgehen. Diese Grundkosten sind da. Das führt auch dazu, dass wir noch Verluste schreiben. Aber nur unter dem Strich. Operativ, also vor Abschreibungen, Steuern und Zinsen, haben wir positive Ergebnisse. Bis wir Bottom Line aber schwarze Zahlen schreiben, dauert es noch ein paar Jahre. Wir mussten natürlich in der Corona-Zeit viele Schulden aufnehmen. Das ließ sich nicht vermeiden. Wir haben kein zusätzliches Eigenkapital bekommen, sondern uns komplett über Fremdkapital finanziert. Dafür haben unsere Gesellschafter Bürgschaften hinterlegt, wofür wir sehr dankbar sind.
Die Gesellschafter sind das Land Niedersachsen, die Stadt Hannover und …
Dr. Roll: … ein Private Equity Fonds, Icon Infrastructure, ein britischer Fonds, dem 30 Prozent gehören.
Wie definieren Sie Ihre Ziele?
Dr. Roll: Ambitioniert und messbar. Und es geht ja auch voran. Wir freuen uns besonders, dass wir ab Herbst eine Basis von Eurowings hier begrüßen werden. Basis heißt, dass hier Flugzeuge mit Crews lokal stationiert sind. Wenn so eine Basis aufmacht, dann ist das auch von einer gewissen zeitlichen Dauer. Wir haben ab nächstem Jahr sechs neue Ziele in Italien wie Rom, Neapel, Lamezia Terme, Olbia, Catania. Dazu kommen noch Faro in Portugal, Malaga in Spanien. Aber: Wir wollen noch mehr Ziele. Wir können den Menschen mehr Verbindungen ab Hannover anbieten, die Vielfalt steigt wieder.
Wie sind bei Ihnen die Bereiche Personen- und Frachtverkehr gewichtet?
Dr. Roll: Unser Fokus liegt ganz klar auf dem Passagierverkehr. Der Frachtverkehr ist stabil, aber relativ überschaubar. Wir konzentrieren uns auf hochwertige Spezialfracht. Wir haben pro Tag 4 bis 5 Frachtflüge, die reinkommen und auch wieder rausgehen. Das sind im Wesentlichen Flüge von Fedex und Flüge von Amazon über den Prime Air Hub von Amazon. Das ist insofern interessant, weil wir die komplette Wertschöpfungskette hier vor Ort haben. Das Frachthandling übernimmt unsere Tochter ASH. Die Be- und Entladung übernimmt unsere weitere Tochtergesellschaft AGS. An diesen beiden Unternehmen besitzt die Flughafengesellschaft jeweils 100 % Anteile.
Neben diesen beiden Tochtergesellschaften arbeiten Sie bestimmt viel mit eigenständigen Partnern zusammen?
Blötz: Der Flughafen Hannover ist wie alle Flughäfen ein großes systemdiverses Unternehmen. Wir haben behördliche Partner. Wir haben private Partner in den unterschiedlichsten Segmenten. Da muss natürlich ein Rad in das andere greifen. Das haben wir gerade im letzten Jahr bemerkt, als der eine oder andere Systempartner vielleicht etwas zu viel Personal abgebaut hat und, so wie in anderen Wirtschaftszweigen auch, das Problem beim Wiederanlaufen entstand, ausreichend Personal vorzuhalten.
Dr. Roll: Ein konkretes Beispiel, das uns letztes Jahr noch Kopfschmerzen bereitet hat, war die Sicherheitskontrolle für die Passagiere. Da gab es in den Spitzen zu lange Wartezeiten. Uns war bewusst: Wir müssen noch enger mit den Partnern, in diesem Fall der Bundespolizei und ihrem Dienstleister Securitas, zusammenarbeiten. Wohlgemerkt: Die Sicherheitskontrolle ist nicht in der Zuständigkeit des Flughafens, sie liegt in der Verantwortung der Bundespolizei.
Die sich bestimmt auch nicht viel vorschreiben lässt?
Dr. Roll: Die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei war und ist gut. Wir haben uns aber noch enger ausgetauscht und Plandaten aus unseren Systemen noch detaillierter zur Verfügung gestellt. Wir kommunizieren Prognosedaten, wie wird das Verhalten der Gäste in der Warteschlange sein. Securitas hat aufgrund dessen mehr Personal rekrutiert. Noch eine sinnvolle Sache: Wir haben den HAJway installiert. Dabei können Sie online einen Slot für die Sicherheitskontrolle buchen. 10 Minuten vor und nach der Slotzeit können Fluggäste durchgehen. Das bedeutet natürlich Komfort für die Passagiere und es hilft insgesamt die Wartezeit bei der Sicherheitskontrolle nochmals zu verkürzen. Folgendes Beispiel: Ich selbst fliege morgen nach Istanbul auf eine Konferenz. Wenn ich also sehe, der Slot um 9 Uhr ist schon ausgebucht, aber um 8.30 oder 9.30 Uhr sind Slots verfügbar, dann nehme ich den 8.30-Uhr-Slot und muss nicht lange in der Schlange stehen. Wenn man schnell durch die Sicherheitskontrolle kommt, trinkt man vielleicht noch einen Kaffee. Davon profitiert auch die Gastronomie.
Entwickeln Sie Ideen wie etwa den HAJway zusammen? Wer kommt auf die Idee? Wer setzt sie um?
Blötz: Wir sind hier super Team-orientiert. Die Hierarchien sind sehr flach, sodass wir kreative Ideen aus der ganzen Mannschaft auch offen diskutieren. Es ist nicht so, dass wie bei einem Großkonzern ein Formular x-mal unterschrieben werden muss, bevor etwas entschieden wird. Hier können sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt an uns wenden und gern mit uns ihr Anliegen besprechen. Wir setzen es auch um …
Dr. Roll: … und das erfolgreich, wie man sieht.
Wo viele Ideen sind, ist auch viel Arbeit. Ihr Arbeitstag besteht sicherlich nicht nur daraus, sich Ideen anzuhören?
Blötz: Wir machen das auf zwei Wegen. Es gibt den informellen Austausch, damit Kreativität auch im Unternehmen bleibt. Aber natürlich gibt es auch Prozesse für Innovation. Gerade heute Morgen haben wir den strategischen Entwicklungsplan durchgesprochen, bei dem wir auf 150 Seiten quer durch alle Bereiche genau schauen, was wir wollen und wo wir uns positionieren. Welche Rahmenbedingungen haben wir? Was bedeutet das für uns strategisch?
Dr. Roll: Immer ist es das Ziel, für die Region, für die Bewohner und die Wirtschaft eine optimale Verbindung in die Welt zu gewährleisten. Und natürlich auch, um als Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Wir haben ein strukturiertes Ideenmanagement. Wenn Sie eine Idee als Mitarbeiter entwickeln, dann können Sie die auch über das Intranet einreichen. Jeder, der eine Idee einreicht, bekommt dafür mindestens ein leckeres Essen in unserem Betriebsrestaurant. Wir legen übrigens extremen Wert darauf, unsere Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, und da ist das ausgezeichnetes Betriebsrestaurant ein Baustein.
Interview: Bernd Schwope
Das vollständige Interview mit Dr. Martin Roll und Maik Blötz vom Flughafen Hannover …
… finden Sie in der radius/30 Ausgabe November/Dezember.