Fachkräftemangel: Zeit ist Geld

06. Juli 2021 / Wirtschaft

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Zeit ist Geld – dieser Spruch gilt bei der Personalsuche in doppelter Hinsicht, denn in der „Time to Hire“ – also die Zeit, die verstreicht, bis ein Arbeitsplatz neu besetzt ist – fallen zwei Kostenblöcke an: zum einen die Kosten der unbesetzten Stelle, beispielsweise durch eine Verzögerung der Produktion und daraus resultierende Umsatzausfälle, und zum anderen die Kosten für die aktive Suche nach neuen Mitarbeitenden. Ist die Stelle neu besetzt, kommt noch ein dritter Block dazu: Mitarbeitende müssen nicht nur gefunden und gewonnen, sie müssen auch gehalten werden.

„Der Fachkräftemangel in der Branche ist schon länger klar. Der ‚Mittelbau‘ fehlt – es gibt viele ältere Mitarbeiter als Leistungsträger, die sehr erfahren sind, aber kurz vor dem Ruhestand stehen. Und es gibt wenige junge Leute, die nachkommen. Aber in der Altersklasse von 30 bis 50 fehlen die guten Mitarbeiter und sie sind auch kaum zu finden“, erzählt Jens Niemann. Er ist Geschäftsführer der Ing. Peter Behrens GmbH, ein Sanitär- und Heizungsbauunternehmen mit knapp 30 Mitarbeitern aus Lehrte-Sievershausen. „Das Handwerk ist in Sachen Stellenwechsel sehr träge. Fühlt sich ein Handwerker in seinem Betrieb wohl, wird er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit auch alt. In der Stadt ist die Wechselbereitschaft vielleicht noch etwas höher als auf dem Land. Hier sind kurze Arbeitswege gewünscht. Und wer einen Betrieb um die Ecke gefunden hat, bei dem die Bezahlung passt und die Stimmung gut ist – der wird nicht wechseln. Es gibt kaum arbeitslose Gesellen auf dem Arbeitsmarkt und wenn doch, dann gibt es meist einen Grund für die Arbeitslosigkeit.“

Da hilft es auch nicht, dass Ausbildungen im Sanitär-, Heizungs- und Klimabereich neben den Bereichen Kraftfahrzeugmechatronik, Elektronik sowie Anlagenmechanik – gemessen an den Berufen mit dem größten Bestand an Lehrlingen – zu den beliebtesten handwerklichen Ausbildungen zählen. Denn auch die Auszubildenden zu finden, ist nicht leicht, wie Jens Niemann erklärt: „Inzwischen bilden wir viel aus, was in der Branche nicht unbedingt typisch ist. Man findet aber kaum Auszubildende, die auch langfristig Lust haben und kognitiv in der Lage sind, die komplexen Aufgaben umzusetzen. Der Job ist körperlich anstrengend, er gilt als ‚Männerberuf‘ und man muss lesen, schreiben und rechnen können.“

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte der Deutschen Presse-Agentur im Dezember 2020, das Handwerk liege bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen um rund 10.000 unter dem vergangenen Jahr: „Wir sehen das wirklich mit Sorge. Denn die Jugendlichen, die heute nicht ausgebildet werden, die fehlen uns in drei Jahren als Fachkräfte. Das wird, wenn wir nicht gegensteuern, dann den Fachkräftemangel gerade bei uns im Handwerk weiter verstärken.“ Die Betriebe hätten sich zwar von den Pandemie-Schwierigkeiten, Einschränkungen und Umsatzeinbrüchen nicht entmutigen lassen. Es seien aber immer noch 14.000 Ausbildungsstellen im Handwerk frei, sagte Wollseifer: „Vielleicht nicht direkt vor der Haustür, vielleicht im Wunschberuf nicht vor Ort. Aber jeder Jugendliche kann noch einen Ausbildungsplatz in dem Beruf bekommen, den er sich vorstellt, wenn er ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist.“

Negatives Image des Handwerks

Ein großes Problem sieht Niemann im negativen Image des Handwerks: „Handwerk hat einen schlechten Ruf: Angeblich betrügen wir alle unsere Kunden und ziehen ihnen das Geld aus der Tasche. Unsere Arbeit wird argwöhnisch beäugt. Es herrscht in der Gesellschaft die Meinung, dass man nur mit Abitur und Studium eine Chance im Leben hat und dass Handwerk das Sammelbecken für all diejenigen ist, die es nicht weiter bringen. Dabei ist das Quatsch: Handwerk ist toll. Es gibt Aufstiegschancen, es ist krisensicher und gerade unsere Branche ist eine mit Zukunft, die sich stark weiterentwickelt. Mein großer Wunsch ist, dass das Handwerk nicht weiter kleingeredet wird. Im Handwerk gibt es zahlreiche tolle Berufe, in denen sich viele junge Menschen wohlfühlen würden.“

Nicht nur das Handwerk ist vom Fachkräftemangel betroffen, er erreicht zunehmend auch andere Branchen. Im Bereich der Wirtschaft klagen insbesondere Unternehmen aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) über Fachkräftemangel. Laut einer Prognose des Instituts der Wirtschaft (IW) Köln werden bis zum Jahr 2031 rund 288.000 MINT-Fachkräfte in Deutschland fehlen. Das betrifft insbesondere die Branchen Maschinen- und Fahrzeugtechnik sowie Berufe in der Metallverarbeitung.

Durch Corona wird zudem der Fokus auf die Pflegebranche gerichtet. Hier fehlen heute schon zahlreiche Pflegekräfte. Gleichzeitig wird die Anzahl der zu pflegenden Personen durch den demografischen Wandel weiter steigen. Aber auch Kommunen sind immer stärker vom Fachkräftemangel betroffen. Während sich die Nachwuchsschwierigkeiten zunächst vor allem auf technische Berufe konzentriert hätten, werde es mittlerweile auch schwierig, neue Erzieherinnen, Sozialarbeiter oder Verwaltungsangestellte zu finden, sagte der Sprecher des Städte- und Gemeindebundes, Thorsten Bullerdiek, der dpa in Hannover. Nötig seien Anreize und ein Gehaltsgefüge, das mit der freien Wirtschaft konkurrieren könne.

Die Sache mit dem Gehaltsgefüge betrifft auch Handwerksbetriebe wie den von Jens Niemann: „Gestandene Mitarbeiter bekommt man eigentlich nur noch über ein hohes Gehalt, was schwierig ist, weil es in jeder Firma ein Gehaltsgefüge gibt und es da irgendwie reinpassen muss. Eine Ungleichbehandlung der Mitarbeiter führt schnell zu Frust. Andererseits hält man durch die Schwierigkeiten, neue Mitarbeiter zu finden, lange an bestehenden Mitarbeitern fest, die vielleicht gar nicht gut sind für das Unternehmen und für viel Unruhe sorgen.“

Vernetzung – Handwerkskammer Hannover

Die Handwerkskammer Hannover unterstützt und berät Unternehmen auf vielfältige Weise bei der Suche nach neuen Arbeitskräften. Zum einen mit der Fachkräftebörse, in der suchende Betriebe und Beschäftigte zusammenfinden können. „Außerdem fängt die Fachkräftesicherung ja bereits bei der Nachwuchsgewinnung an. Auch dafür haben wir aktuell viele Online-Seminare und Online-Workshops entwickelt, in denen wir den Ausbildungsbetrieben Tipps und Strategien an die Hand geben, wie sie in diesem Jahr – trotz der Corona-Beschränkungen – in Kontakt zu Schülerinnen und Schülern treten können. Die gute Resonanz gibt uns recht, dass wir mit diesen Angeboten einen hohen Bedarf decken“, erzählt Christine Seeger, Pressereferentin bei der Handwerkskammer Hannover.

Mit dem Projekt „Herausforderung Fachkräftesicherung“ arbeitet die Handwerkskammer Hannover über die Erhebung von betriebspassgenauen Weiterbildungskonzepten für die gesamte Mitarbeiterschaft an der Bestandssicherung der Betriebe und damit an der Sicherung von Fachkräften. Das Projekt läuft derzeit in den Landkreisen Nienburg und Diepholz, demnächst auch in den Landkreisen Hameln-Pyrmont, Schaumburg und Holzminden.

Weiterbildung gilt als eines der besten Mittel gegen den Fachkräftemangel.

Berufsabschluss – Jobcenter Region Hannover und Agentur für Arbeit

Das Jobcenter Region Hannover arbeitet intensiv mit Arbeitgebern zusammen, um Arbeitsuchende auf dem ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können. Eine Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu absolvieren, ist die betriebliche Umschulung. Dafür gibt es jetzt ein neues Angebot. Mit dem Projekt „U.H.U. – Umschulungsvorbereitende Hilfen und Umschulungsbegleitung“ unterstützt das Jobcenter Region Hannover Arbeitsuchende dabei, einen Berufsabschluss zu erwerben. „Die betriebliche Umschulung bietet hervorragende Perspektiven“, sagt Stefan Bode, Mitglied der Geschäftsführung Jobcenter Region Hannover. „In den meisten Fällen übernehmen die Unternehmen die Leute, die sie in ihrem eigenen Betrieb umgeschult haben. Gleichzeitig legt der Berufsabschluss den Grundstein für die weitere berufliche Karriere.“

Die Teilnahme an U.H.U. ist auch bei fortgeschrittenem Alter oder einem vorhandenen Abschluss möglich, wenn er bereits längere Zeit zurückliegt. Damit kann in verkürzter Zeit ein Berufsabschluss erworben werden und der Betrieb hat – wie bei einer zeitlich regulären Ausbildung – die Möglichkeit, den Umschüler direkt zu übernehmen. Betriebliche Umschulungen fördert das Jobcenter schon lange. „Das Besondere an U.H.U. ist, dass Arbeitsuchende hier zunächst gezielt auf die Ausbildung vorbereitet und während der gesamten Umschulungszeit eng begleitet werden“, erklärt Stefan Bode. „So wollen wir sicherstellen, dass die Umschulung ein Erfolg wird.“

Die Agentur für Arbeit bietet Umschulungsmaßnahmen vor allem für Menschen, die sich verändern wollen: ungelernte Arbeitskräfte, Wiedereinsteiger, Veränderungswillige, bei gesundheitlich begründeten Veränderungszwängen oder einem Strukturwandel. Aus Beitragsgeldern der Agentur für Arbeit werden beispielsweise Weiterbildungen mit Abschluss vorbereitet und bezahlt. „Berufsberatung im Erwerbsleben“ nennt sich das Angebot, das seit 1. Januar besteht. Mit dem Selbsterkundungstool „NewPlan“ gibt die Agentur für Arbeit eine Möglichkeit, online eine Entscheidung für den Berufsweg zu treffen.

Qualifizierung und Weiterbildung – Agentur für Arbeit

Eine weitere Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist die „Stärkung der eigenen Reihen“: Unternehmen, die in ihre Belegschaft investieren und dadurch zum einen den Fachkräftemangel im Betrieb verhindern und andererseits gleichzeitig ihre Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen. Mit dem Qualifizierungschancengesetz, das ab 1.1.2019 in Kraft getreten ist, können Weiterbildungen gefördert werden, die im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes durchgeführt werden. Seit dem 1.10.2020 gelten höhere Förderzuschüsse. Die Agentur für Arbeit bietet zwei Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung: die Erstattung der Weiterbildungskosten oder einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt für Geringqualifizierte sowie vom Strukturwandel oder der Digitalisierung Betroffene.

Weiterbildung während der Kurzarbeit

Arbeitnehmende können unter bestimmten Voraussetzungen auch während der Kurzarbeit an Weiterbildungen teilnehmen. So können Unternehmen ihre Mitarbeitenden fit machen für neue Herausforderungen und sie ihr Fachwissen sinnvoll ergänzen lassen. Hintergrund ist eine bis zum 31. Juli 2023 befristete Förderregelung, die während der Corona-Pandemie im Beschäftigungssicherungsgesetz geschaffen wurde. So können bei beruflicher Weiterbildung während der Kurzarbeit unter bestimmten Voraussetzungen die Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden. Eine Weiterbildung, die bereits vor Beginn der Kurzarbeit begonnen wurde, muss nicht unterbrochen werden. Auch eine Weiterbildung, die erst nach dem Bezug von Kurzarbeitergeld begonnen wurde, kann fortgesetzt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann in diesem Fall ein Zuschuss zum Arbeitsentgelt gewährt werden.

Text: Susanne Bührer

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