Hans Christian Nolte: „Die Touristen sind zurück“

22. Mai 2024 / Im Gespräch

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Acht Jahre ist es her, dass Hans Christian Nolte radius/30 das erste Interview in der Debüt-Ausgabe 2016 gab. Acht Jahre, in denen viel passiert ist. Wir wollten von dem Geschäftsführer der HMTG (Hannover Marketing und Tourismus GmbH) wissen, was sich seitdem getan hat. Wir sprachen mit dem Mann, dem Hannover nicht nur das Maschseefest zu verdanken hat, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Tourismus und warum Hannover keine Leuchttürme braucht.

radius/30: Herr Nolte, können Sie sich erklären, warum ich zwei Aufzeichnungsgeräte auf dem Tisch liegen habe?

Hans Christian Nolte: Nicht wirklich.

Bei unserem ersten Gespräch vor acht Jahren streikte meine Aufzeichnungs-Software. Wir mussten das Interview Tage später wiederholen. Der Supergau für jeden Journalisten. Seitdem geht’s nur mit Aufzeichnungs-Backup. Aber zum Thema. In unserem letzten Gespräch sprachen Sie davon, wie stark sich Hannovers Tourismus zum Guten gewendet hat. Die konkreten Zahlen damals: 2,2 Millionen Übernachtungen in der Stadt; 3,7 Millionen in der Region. Wie hat sich der Standort verändert?

In der Region sind es eine halbe Million Übernachtungen mehr. Wir müssen das allerdings ein wenig einschränken. Der Status quo, den wir jetzt erreichen, ist nicht ganz der wie vor Corona. 2019 hatten wir ein Rekordjahr mir 4,4 Millionen Übernachtungen in der Region und über 2,4 Millionen in der Stadt. Dann kam die Zäsur durch Corona. Das waren zweieinhalb Jahre Totalausfall. Die Recovery-Phase
in der Reisebranche ist bei vergleichbaren und größeren Städten noch nicht abgeschlossen, bei uns schon. Das bedeutet überraschenderweise, dass die Kernstadt Hannover das Rekordjahr 2019 wieder erreicht bzw. sogar um fast ein Prozent überholt hat. Das zeigen die jüngsten Zahlen des Landesamtes für Statistik, die kurz vor Ostern herauskamen. Die Touristen, wie immer man sie definieren möchte, ob das Städtereisende oder Geschäftsreisende, sind zurück.

Hat dies auch damit zu tun, dass Sie die touristische Ausrichtung Hannovers langfristig neu definiert haben? Vor acht Jahren sprachen Sie von der zweiten Phase nach der Belebung des Innenstadtsektors, nämlich der Stärkung des Tourismus in der Region.

Bei den Übernachtungen in den Umlandkommunen gibt es tatsächlich noch Nachholbedarf. Im Vergleich zum Vorjahr mit 3.599.505 Übernachtungen kann die Region 2023 zwar mit 4.050.972 Gästen ein Plus von 12,5 Prozent verbuchen. Grund für diese positive Entwicklung ist allerdings, dass das Jahr 2022 touristisch weiterhin stark von den Einschränkungen der Covid-19-Pandemie beeinflusst war. Der positive Trend der Landeshauptstadt setzt sich in den 20 Umlandkommunen allerdings nicht ganz fort. Die Werte liegen in der Region Hannover im Vergleich zu 2019 bei einem Minus von 4,8 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass wir in den Umlandgemeinden sehr stark von gutem Wetter abhängig sind. Während 2019 mit einem der heißesten Sommer in der Geschichte Deutschlands auch meteorologisch sämtliche Rekorde brach, verzeichnete 2023 außergewöhnliche Niederschlagsmengen. Diese bescherten nicht nur dem Maschseefest 20 Prozent weniger Gäste. Das schlechte Wetter hat auch die Urlaubsregion Hannover getroffen, da deutlich mehr Urlaubssuchende europäische Feriendestinationen bevorzugt haben. So ging es vielen deutschen Freizeitregionen.

Wie sieht über die letzten Jahre gesehen die Entwicklung in der Kernstadt aus?

Die Internationalisierung an einem Eventstandort wie Hannover nimmt immer mehr zu. Wir haben ein relativ konstantes Kongress- und Großveranstaltungswesen; da sind die klassischen Messen und Großveranstaltungen auf der Messe inkludiert. Auch Großkonzerte sorgen für gute Auslastung. Dieses Jahr haben wir über 600 Konzerte. Positiv zu bewerten ist die Entwicklung in der Hotellandschaft. Sie signalisieren einen Internationalisierungs-Trend. Nach Häusern der französischen Accor-Gruppe, Best Western, Marriott mit Sheraton und Courtyard, der NH-Hotel Gruppe sowie Wyndham hat die City unter anderem mit dem me and all Hotel Hannover aus der Hyatt-Gruppe und kürzlich erst mit der globalen Hotel-Kette Hilton, dem Motel One und dem Premier INN, einer der größten Hotelmarken aus Großbritannien, einen kräftigen Internationalisierungsschub bekommen. Mit der Eröffnung mehrerer neuer Hotels in den kommenden Monaten unterstreicht die Landeshauptstadt ihr wachsendes Ansehen als attraktives Ziel für Touristen und Geschäftsreisende gleichermaßen. Durch die Ansiedelung der internationalen Hotelketten verändert sich das bauliche Erscheinungsbild der City positiv, ebenso sind die touristischen Mitnahmeeffekte für anliegende Gastronomie und Shops von besonderer Bedeutung. Das begrüßen wir sehr. Trotz der gestiegenen Präsenz stellen die Investorenerwartungen eine fortlaufende Herausforderung dar. Um die Kapazitäten in der Landeshauptstadt und den umliegenden Gemeinden nachhaltig auszulasten, sind weiterhin signifikante Marketinganstrengungen in den Quellländern des hannoverschen Tourismus erforderlich. Wir sind aber zuversichtlich, dass die fortgesetzten Bemühungen um die nationale und internationale Vermarktung der Region Hannover Früchte tragen werden.

Vor acht Jahren haben Sie Harald Schmidt als größten Hannover-Basher ausgemacht. Wer kennt noch Harald Schmidt? Hat sich die Wahrnehmung Hannovers außerhalb der Stadtgrenzen aktuell zum Besseren gewandelt?

Die „Schmidt-Karte“ wird leider immer noch gezogen. Ich denke aber, dass das Hannover-Image besser geworden ist. Auf der ITB (Anm. d. Red.: Internationale Tourismus-Börse Berlin) wurden wir von Journalistinnen und Journalisten, die kürzlich in Hannover warten, immer wieder mit der Aussage konfrontiert, wir seien eine „unterschätzte Stadt“. Aber in den Quellländern wie Dänemark, Belgien, Niederlande, in denen wir Werbung machen können, haben wir Zuwächse von bis zu 30 Prozent. Wenn man Geld in die Hand nimmt und für den Standort wirbt, sind die Zuwächse exorbitant. Wir müssen solche Investments aber unverändert in großen Teilen selbst erwirtschaften. Man plant, der HMTG für das Standortmarketing mehr Geld zukommen zu lassen. Das wird helfen, unsere Reichweite im Marketing zu erweitern. 

Reichen Maschseefest, Open-Air-Konzerte, Kongresse u.v.m. nicht aus, um genügend Touristen nach Hannover zu ziehen?

Großkonzerte, Kongresse und das Maschseefest sind zweifellos wichtige Ereignisse im Kalender unserer Stadt. Sie ziehen jedes Jahr Tausende von Besuchern an und spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Hannover als lebendige und dynamische Stadt. Diese Veranstaltungen sind nicht nur ein Schaufenster für die kulturelle Vielfalt und Gastfreundschaft unserer Stadt, sondern sie tragen auch erheblich zur lokalen Wirtschaft bei, indem sie die Hotellerie, Gastronomie und den Einzelhandel stärken. Allein das Maschseefest ist im vorletzten Jahr in die Top 10 der europäischen Food-Festivals gewählt worden. Das haben Kieler Woche, Oktoberfest und Cannstatter Wasen nicht geschafft. Wir sollten darauf stolz sein, statt uns über Nachtlärm zu beklagen. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass die Tourismusstrategie einer Stadt vielschichtig und umfassend sein muss.

Typisch hannöversch?

Der Wunsch des Einzelnen zählt mehr als der Wunsch der Masse. Das ist ein Phänomen, das wir in ganz Deutschland wahrnehmen. Das ist ein in Teilen der Bevölkerung sich breitmachender Egoismus, der nach Corona meiner Ansicht nach noch zugenommen hat. Ich hoffe, dass sich das irgendwann wieder legt und man mehr die Gesamtheit sieht. Das ist für Standortmarketing, Tourismusmarketing, Citymarketing ganz wichtig. Wir sind auf einem guten Weg, aber die Herausforderungen, die auch von Branchenverbänden kolportiert werden, sind nicht von uns, sondern vom internationalen Markt verantwortet. Internationale Hotelketten forcieren Kooperationen weltweit. Alle Hotels schließen sich diesen Ketten an, um internationale Vermarktung voranzutreiben. Das war vor Corona nicht der Fall. Corona hat dafür gesorgt, dass der Internationalisierungsschub bei den Beherbergungsbetrieben noch mal richtig zugelegt hat.

Wie können Sie in Bezug auf den Hotelstandort Hannover mit diesen Ketten kooperieren? 

Was die meisten falsch sehen: Wir arbeiten mit öffentlichen Mitteln. Dementsprechend sind uns Grenzen gesetzt. Unsere Kooperationen sind wirklich nur Kooperationen. Wir können nicht für Auslastungen sorgen und dürfen das auch gar nicht, weil wir niemanden mit öffentlichen Mitteln bevorzugen dürfen. Wir sind ein Teil der Daseinsfürsorge der Europäischen Union. Wir dürfen auf keinen Fall den privaten Wettbewerb angreifen.

Was dürfen Sie denn?

Erstens: Wir machen Werbung. Wir liefern Anreize. Wir dürfen das Maschseefest, den Feuerwerkswettbewerb, die Glitterbox veranstalten. Wir koordinieren – das ist der entscheidende Faktor – Nachfrage und Angebot, nicht Angebot und Nachfrage. Wir sind nicht der Sender, der sozusagen das Produkt Beherbergung nach vorne bringt, sondern in dem Fall derjenige, der die Anfrage an den Standort stellt und das koordiniert. 

Wie lässt sich die Entwicklung mithilfe aller Akteure steuern? Wo können wir in acht Jahren stehen?

Erst mal müssen wir feststellen, dass der Städtewettbewerb unglaublich gewachsen ist. Mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, sind wir eigentlich nur in der Lage, die Daseinsfürsorge, die Willkommenskultur des Standortes zu beschreiben. Deswegen wurde einst der Tourismusverein gegründet, angeblich der drittälteste seiner Art in Deutschland.

Wenn man aber zurückdenkt, gab es in Hannover sogar mal einen Stadtimagepfleger, der das Image der Stadt als graue Maus aufpolieren sollte und das mit Straßenkunstprogramm, Altstadtfest, Nanas u.v.m., auch tat. Warum geht so etwas mit anderen Vorzeichen nicht heute?

Stimmt. Mike Gehrke hat eine Menge geleistet. Ich höre immer noch gerne seine Stimme in der städtischen Warteschleife. Er hatte eine Idee, die Kunst in den öffentlichen Raum zu bringen. Heute freuen sich alle, dass die Nanas in Hannover stehen. Und das war auch während der Corona-Zeit ein wichtiger Faktor – die Neuentdeckung interessanter Punkte in der Stadt, die vielen vielleicht nicht mehr bewusst sind. Wir haben daraus eine Kampagne entworfen. Ich nannte sie „Travelling Without Moving“. Den Titel habe ich quasi bei einem Jamiroquai-Song geklaut. Wir haben diese Stadt digitalisiert. Wir installierten 360-Grad-Grafiken, mit denen man virtuelle Stadtrundgänge durch Herrenhausen, durch die Marienburg und viele andere Orte machen konnte. Wir haben damit 314 Millionen Menschen erreicht, die zu Hause nicht raus durften. 

Interview: Bernd Schwope


Das vollständige Interview mit Hans Christian Nolte, Geschäftsführer der HMTG (Hannover Marketing und Tourismus GmbH) …

… finden Sie in der radius/30 Ausgabe Mai/Juni.

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