Das Landvolk Hannover vertritt mehr als 90 Prozent der Landwirte und der Eigentümer landwirtschaftlicher Flächen in der Region und der Stadt Hannover. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des Landvolks Hannover, Volker Hahn, der in Hagen bei Neustadt einen Bauernhof mit Direktvermarktung unterhält, über rote Gebiete, Naturschutz und Nachhaltigkeit und warum Urlaub für Landwirte ein Fremdwort ist.
Interview: Bernd Schwope
radius/30: Das Landvolk Hannover e. V. ist der Interessenverband der Bäuerinnen und Bauern der Region Hannover. In anderen Interessenverbänden ist der Interessenschwerpunkt viel konkreter benannt. Unter Landvolk stelle ich mir persönlich mehr als nur Bäuerinnen und Bauern vor. Woher rührt der Name?
Volker Hahn: Hinter dem Begriff Landvolk steckt tatsächlich mehr. Wir sind zuallererst die Interessenvertretung des ländlichen Raumes. Deswegen haben sich unsere Gründerväter in Niedersachsen bei der Gründung 1947 auch bewusst diesen Namen gegeben. Das ist einzigartig in Deutschland. Wir sind Mitglied im Deutschen Bauernverband, aber sowohl als Landesverband als auch als Kreisverband sind wir eigenständig. Wir als Landvolk Hannover sind ein eigener, eingetragener Verein, der für seine Mitglieder in der Region Hannover verantwortlich ist.
Wie sind Sie organisiert?
Letztendlich kann jeder bei uns Mitglied werden, der sich für die Belange der Landwirtschaft einsetzt. Wir möchten den ländlichen Raum so entwickeln, dass er nicht von den städtischen Ballungsräumen abgekoppelt wird. Denken Sie dabei ganz praktisch an den ÖPNV, den 5G-Ausbau oder das Straßenverkehrsnetz. An diesen Themen sind wir dran.
Als ich durch Ihren Heimatort Hagen bei Neustadt fuhr, sind mir gleich zwei Bankfilialen und ein Supermarkt aufgefallen. Diese Infrastruktur zu erhalten, zählt also auch zu Ihren Aufgaben. Oder?
Unser Schwerpunkt liegt auf der landwirtschaftlichen Vertretung. Aber vor Ort engagieren sich Bäuerinnen und Bauern in verschiedensten Initiativen.
Welche Aufgaben stellen sich Ihnen konkret?
Konzentrieren wir uns mal auf unseren Kreisverband. Ich werde später sicherlich auch noch den Schwenk zur Landes- und Bundespolitik machen, weil das ineinander greift. Ich fange mal ganz praktisch an. Es wird vor Ort ein Baugebiet geplant. Hinter dem Baugebiet befinden sich Felder, die von Landwirten beackert werden. Folgerichtig beteiligen wir uns an den betreffenden Genehmigungsverfahren, um sicherzustellen, dass beispielsweise die Straßen breit genug sind, damit auch Erntemaschinen weiterhin darauf fahren können. Oder dass die Zuwegung zu den hinteren Feldern weiterhin gesichert ist. Wir haben in jeder Kommune einen Ansprechpartner für Belange wie die Wegeunterhaltung. Das eine ist, dass die Landwirte über die Wege problemlos zu ihren Feldern gelangen. Das andere, dass die Bürger und Bürgerinnen diese für ihre Freizeitaktivitäten nutzen können. Da gibt es durchaus hin und wieder Interessenskonflikte. In solchen Fällen treten wir als starker Ansprechpartner auf. Welcher Weg wird intensiver unterhalten, damit ihn auch die Bevölkerung nutzen kann, und welche Wege können Graswege bleiben.
Der Kontakt zur Politik kommt dann zwangsläufig. Richtig?
Ob in Garbsen oder Springe: Wenn die Kommunen etwa Biodiversitätsprojekte durchführen wollen, sind wir als Ansprechpartner da, um geeignete Flächen auszusuchen.
Wie sieht es mit dem Umweltschutz aus?
Wenn es um Natura-200- oder etwa FFH-Gebiete (Fauna-Flora-Habitat- Gebiete, Anm. des Verfassers) geht, bei denen auch die Interessen von Landwirten berührt werden, sind wir im Gespräch mit der Region. Wir versuchen, im Gespräch die Belange der örtlich wirtschaftenden Landwirte einzubringen. Das gelingt nicht in jedem Einzelfall. Aber wenn wir diese Fälle vernünftig darlegen, trifft man auch auf Verständnis. Die Diskussion ist nicht immer konfliktfrei. Wichtig ist aber, sich dabei ehrlich zu begegnen. Wir versuchen stets, einen Kompromiss zu finden. Das klappt in der Region recht gut.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein konkretes Beispiel ist die hannoversche Moorgeest. Diese soll vernässt werden. Davon sind viele Grundstückseigentümer betroffen. Das war mein Einstieg in das Ehrenamt, diesen Prozess habe ich sehr massiv begleitet. Dabei mussten wir unter den Landwirten für ein Stück Akzeptanz werben, dass diese Renaturierung notwendig ist, um den Lebensraum Moor besser zu schützen. Ich musste meinen Kollegen also beibringen, auf einen Teil ihres Eigentums zu verzichten. Auf der anderen Seite mussten wir mit der Region zusammen einen Ausweg finden. Unsere Argumentation: Wenn ihr Eigentumsflächen in Anspruch nehmt, die vernässt werden, dann braucht es einen fairen Ausgleich. Das war nicht einfach. Es bedurfte jahrelanger Gespräche.
Sie sind also auch eine Art Mediator?
Es ist eine schwierige Angelegenheit, die Interessen des Einzelnen im Blick zu haben, aber auch die Interessen des Allgemeinwohls. Es gibt diesen alten Spruch, salopp gesagt: Wenn du zwei Bauern unter einen Hut bekommen willst, musst du einen entfernen (lacht). Das ist heute nicht mehr so. Aber nicht jeder Landwirt ist bereit, sich unter den großen Regenschirm des Kompromisses zu stellen.
Und was passiert, wenn Sie nicht auf Kompromisse eingehen? Treten die Betroffenen aus dem Landvolk Hannover aus?
Das passiert immer mal wieder. Letztendlich sind wir ein Verein, in den jeder immer wieder eintritt. 90 % der landwirtschaftlich wirtschaftenden Betriebe sind bei uns Mitglied. Das ist schon ein hoher Deckungsgrad. Aber Kritik wird immer mal wieder laut. Ein großes Thema ist die Ausweitung der roten Gebiete (nitratsensible Gebiete, Anm. d. Verfassers), wovon die Region Hannover massiv betroffen ist. Jeder Landwirt kann mit Fug und Recht sagen, seit 20 Jahren so vernünftig zu wirtschaften, dass er keine Überschüsse hat, obwohl er düngt, so wie es gefordert ist. Da gibt es wenig Verständnis und eine riesige Ungeduld.
Wie gehen Sie damit um?
Das geht dann auf die nächsthöhere Ebene zu Land und Bund. Wir versuchen, auf die Abgeordneten einzuwirken, die hier aus der Region kommen. Wir versuchen, der Politik klarzumachen, dass ihre Beschlüsse auch verstanden werden müssen.
Haben Sie auch Verständnis für die Entschlüsse der Politiker?
Als Politiker bin ich mit so vielen Themen konfrontiert, dass ich nirgendwo in die Tiefe gehen kann. Der Themenbereich „rote Gebiete“ ist ein Paradebeispiel, wie über Landes-, Bundes- und EU-Politik ein Gesetzesteppich entsteht, der uns alle handlungsunfähig macht.
Was können Sie daran als Landvolk Hannover ändern?
Wir mühen uns, die praktischen Auswirkungen und die dutzendfachen Widersprüche darzustellen. Aber alle zucken nur mit den Schultern und meinen, daran momentan nichts ändern zu können. Das ist frustrierend, wenn alle das Problem sehen, aber keine Lösung greifbar ist.
Keine Lösung kann aber nicht die Lösung sein.
Man hört überall, wenn etwas im Argen liegt, hätte dies mit der Düngung zu tun. Dabei fließen hier viele andere Faktoren mit ein. In der öffentlichen Diskussion taucht gar nicht auf, dass Böden mit Nitrat belastet sein können, die seit 40, 50 Jahren gar nicht gedüngt wurden. Das Thema ist so komplex, weil es um mehr als Düngung geht. Ist es die Bodenbearbeitung, sind es die Kulturen, die wir anbauen, oder die Niederschlagsverhältnisse? Bearbeite ich den Boden extensiv oder intensiv? Das alles kann Einfluss auf Nitratwerte im Grundwasser haben; der Aspekt der Düngung ist nur einer von vielleicht zehn. Es ist Sisyphusarbeit, das zu kommunizieren. Dabei liegt uns Öffentlichkeitsarbeit sehr am Herzen. Im Jahr haben wir ungefähr 150 Schulklassen zu Besuch auf unseren Höfen. Manche Klassen steigen sogar intensiver in das Thema ein. Die sind dann über zwei Tage da und übernachten in nahe gelegenen Jugendherbergen.
Jeder, der mal eine Reportage über einen Bauernhof im Fernsehen gesehen hat, weiß, dass man als Bauer rund um die Uhr eingespannt ist und früh zum Hahnenschrei aufsteht. Ist das ein Klischee? Sitzen Sie um 6 Uhr bereits auf dem Trecker?
Wenn die Witterung es zulässt (lacht). Man muss schon differenzieren. Ein Ackerbauer hat seine Spitzenzeiten, aber auch Ruhezeiten. Er ist im Winter flexibel in der Zeitplanung. Dafür ist der Arbeitsaufwand in den Frühjahrs- und Sommermonaten extrem stark. Ein Milchviehhalter hat einen ganz anderen Rhythmus. Alles, was mit Tieren zu tun hat, heißt, sieben Tage die Woche Verantwortung zu übernehmen. Ob man gesund ist, ob man krank ist, ob man Termine hat: Das Vieh steht an erster Stelle.
Wie viele Bauern gibt es, die beides machen?
Das ist ja das nächste Problem. Ein Viehhalter betreibt in der Regel auch Ackerbau. Er ist damit doppelt belastet. Ich denke mal, viele haben diese idyllische Vorstellung vom Leben auf dem Bauernhof: Da ist eine Familie, da sind Kinder, Großeltern, die mitmachen. Die Realität ist aber eine andere: Es gibt keine 40-Stunden-Woche, geschweige denn eine 4-Tage-Woche mit Work-Life-Balance. Urlaub ist für viele Arbeitnehmer selbstverständlich. Wenn man krank ist, dann bleibt man zu Hause und kann die Krankheit auskurieren. Wie soll das auf einem Bauernhof laufen, auf dem nur Familienmitglieder wirtschaften? Es wird als selbstverständlich angesehen, dass auch die Groß-eltern und die Kinder mit anfassen. Wenn ich in den Urlaub will, brauche ich Mitarbeiter.
Ist das ein Problem?
Wenn Sie Mitarbeiter einstellen, dass Sie auch mal in den Urlaub können, dann sind Sie schnell beim negativ belegten Begriff Massentierhaltung. Das ist im Grunde absurd. Wenn ich keine Bestände habe, bin ich Sklave meines eigenen Betriebes. Wenn ich diesen Betrieb erweitere, bin ich Massentierhalter. Die sozialen Errungenschaften, die für viele selbstverständlich sind, kann ich nicht verwirklichen. Das ist schon ein verrückter Spagat.
Heißt: Ohne familiären Zusammenhalt kann es Ihr Unternehmen gar nicht geben?
Ohne Familie geht überhaupt nichts. Wenn ich an meine Eltern denke: Die waren das erste Mal zu ihrer Silberhochzeit im Urlaub. Da haben wir als Kinder noch gespart und ihnen eine Reise geschenkt. Meine Frau und ich sind jetzt 27 Jahre verheiratet. Wir haben weder eine Hochzeits- noch eine Silberhochzeitsreise gemacht. Wenn es passte, die Arbeit erledigt war, sind wir mal ein paar Tage mit den Kindern in die Ferien gefahren. Aktuell sind bei uns ein Auszubildender und zwei Mitarbeiter beschäftigt. Aber wie gesagt, das Vieh muss versorgt sein. Wir haben zudem eine Direktvermarktung. Die Kunden müssen auch bedient werden. Für Urlaub bleibt nicht viel Zeit.
Das vollständige Interview mit Volker Hahn vom Landvolk Hannover …
… finden Sie in unserer aktuellen radius/30 Ausgabe Mai/Juni.