WIR SIND MITTEN IN DER VERÄNDERUNG
Digitalisierung, Globalisierung und das Aus der Computermesse CEBIT: Große Herausforderungen stehen der Deutschen Messe AG bevor. Seit dem 1. Juli 2017 ist Dr. Jochen Köckler Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Messe und geht mit Optimismus diese Herausforderungen an. Mit radius/30 sprach Dr. Jochen Köckler im Interview über die Unterschiede zwischen Manager- und Politikerdasein, was Hannover auch für Westfalen so anziehend macht und dass der Weg vom Bauernsohn zum Messevorstand ein ganz leichter sein kann.
Interview: Bernd Schwope
radius/30: Herr Dr. Köckler, verraten Sie uns zu Beginn in diesem Interview: Wie sehen Sie die Entwicklung des Messestandorts Hannover vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Globalisierung?
Dr. Jochen Köckler: Das sind die beiden wichtigen Stichworte: Globalisierung und Digitalisierung. Globalisierung bedeutet für unser Geschäft, dass die Menschen viel eher als in früheren Zeiten bereit sind zu reisen. Das hat viel damit zu tun, dass im vereinten Europa seit 70 Jahren Frieden herrscht. Dies ist ein Prozess, den meine Generation mitbekommen hat. Digitalisierung allerdings ist ein Prozess, der sich erst in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Ich bin seit 20 Jahren im Messegeschäft; habe hier in Hannover meine erste Messe im Jahr 2000 organisiert. Damals kam noch jeder auf die Messe, um ein neues Produkt zu sehen, von dem er in einer Fachzeitschrift erfahren hat. Heute kommt niemand mehr auf eine Messe, um ein Produkt kennenzulernen. Er sieht es schon vorher auf einer Internetseite, dem YouTube-Kanal oder in den sozialen Netzwerken, dafür muss man keine Messe mehr besuchen.
Was bedeutet das für Sie als Messeveranstalter: den Verlust der Kernkompetenz?
Es bedeutet vor allem Veränderung. Ich bin der Ansicht, dass wir uns als Deutsche Messe in einer großen Transformation befinden und sehe mich als Chancendenker. Ich behaupte, in dieser Veränderung stecken auch jede Menge Chancen. Denn diese Veränderungen brauchen letztendlich Messen. Was wir tun, egal, wie die Marke heißt, ist: Wir führen Menschen zusammen. In diesem Jahr planen wir 350 Millionen Umsatz bei einem soliden Gewinn. Als Unternehmen sind wir gut aufgestellt. Wir haben 800 Mitarbeiter, weltweit kommen noch mal 400 hinzu. Der Messestandort Hannover ist aktuell einer der fünf führenden Messestandorte in Deutschland und liegt weltweit unter den ersten zehn.
Ich sehe mich als Chancendenker.
Dr. Jochen Köckler, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe AG
Wie gehen Sie strategisch vor, damit dies auch so bleibt?
Unsere Strategie ist der Ausbau des Kerngeschäfts. Dazu zählt zuallererst die HANNOVER MESSE als Industriemesse. Wir sind sehr gut unterwegs mit dem Topthema Industrie 4.0. Die HANNOVER MESSE ist komplett ausgebucht. Daneben veranstalten wir als Messegesellschaft die Eigenmessen DOMOTEX, LIGNA, INTERSCHUTZ, LABVOLUTION. Dann gibt es Messen wie die EMO Hannover, AGRITECHNICA, EuroTier oder IAA Nutzfahrzeuge, die von Gastveranstaltern ausgerichtet werden. Insgesamt sind wir mit Leitmessen in unserem Kerngeschäft gut gebucht. Allerdings: Die Großmesse CEBIT ist nach 15 Jahren nicht mehr da. Die Entscheidung, die Messe abzusagen, war sehr unpopulär und schmerzhaft. Aber der Grund liegt einzig darin, dass die Digitalisierung in den letzten 15 Jahren in jede Branche vorgedrungen ist. Die Industrie kommt auf die HANNOVER MESSE, der Landwirt auf die AGRITECHNICA, die Holzbranche auf die LIGNA. Aber von denen geht niemand auf eine CEBIT, um sich die Digitalisierung erklären zu lassen.
Wir bringen Menschen zusammen.
Dr. Jochen Köckler, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe AG
Wie reagieren Sie auf diese Veränderungen?
Das Ausland ist für uns immer wichtiger geworden. Mit dem Auslandsgeschäft generieren wir mittlerweile ein Viertel unseres Umsatzes. Wir kooperieren mit einem tollen Tochterunternehmen in China. In Shanghai veranstalteten wir in diesem Jahr allein 23 Messen. Wir haben ein Tochterunternehmen in der Türkei, das bei allen politischen Herausforderungen hervorragend läuft. Wir sind zudem in den USA, in Sydney, Moskau und in Mexiko aktiv. Auch in dieser Hinsicht sind wir gut aufgestellt. Natürlich ist es unser Job, neben unserem Kerngeschäft auch das Neugeschäft zu forcieren. Das ist in unserem 72. Jahr als Deutsche Messe gerade in den letzten sechs Monaten ein wichtiges Thema. Wir haben sechs neue Messethemen ausgerufen. Das ist in den letzten 20 Jahren noch nie vorgekommen. Ganz klar: Das Kerngeschäft allein reicht nicht. Es wird nicht mehr mit einem Fingerschnipp eine neue 100.000-Quadratmeter-Messe erfunden. Die Digitalisierung ist das Bohren eines ganz dicken Brettes. Ich sage mittlerweile nach innen und außen: Wir müssen Veranstaltungen in einer digitalisierten Welt organisieren. Unsere Besucher werden in naher Zukunft mit der Uhr bezahlen oder einen speziellen Parkplatz buchen wollen. Wir sind mitten in der Veränderung. Das macht Spaß. Hannover liegt mitten auf der Landkarte. Wir haben ein fantastisches Messegelände. Sie sitzen einem Optimisten gegenüber.
Sie sind in der Landwirtschaftsbranche groß geworden und stehen jetzt an der Spitze einer der größten Messegesellschaften der Welt – das klingt nach einem langen, steinigen Weg.
Das lässt sich sehr leicht und schlüssig erklären. Ich bin als Landwirtssohn in der Stadt Hamm groß geworden und habe dort Abitur gemacht. Im Anschluss wollte ich in Hannover Tiermedizin studieren, aber die nahmen mich nicht auf, weil man einen Numerus Clausus von 1,0 haben musste. Ich habe dann in Bonn Agrarwissenschaften studiert und promoviert. Mit 29 bin ich von der DLG angestellt worden. Mein erster Job war es, ein Netzwerk von Landwirten zu beraten. Da aber nach einem halben Jahr der Projektleiter der EuroTier die DLG verlassen hat, bekam ich die Chance, die Messen zu betreuen. Ich gebe zu: vor 20 Jahren hatte ich noch keine Ahnung von Messen. Doch der damalige Präsident war der Meinung, ich hätte Ahnung von Landwirtschaft und könne gut reden, also sollte ich es doch mal versuchen. Ich habe dann 13 Jahre bei der DLG die EuroTier und AGRITECHNICA abgewickelt, viele Messen im Ausland aufgebaut. Als sich die Messen in Hannover gut entwickelten, hat mich Herr Weil – 2012 noch im Amt des Oberbürgermeisters – als Vorstandsmitglied der Deutschen Messe eingestellt. Ich habe also Agrarwissenschaft gelernt und bin seit 20 Jahren im Messe-Management. Wichtig ist: Man muss eine Leidenschaft für die Branche haben und Menschen zusammenbringen wollen. Eigentlich bin ich einen ganz geraden Weg gegangen.
Gibt es so etwas wie ein Erfolgsrezept für einen Messemacher?
Drei Aspekte sind wichtig. Am Anfang muss man die Messe so aufstellen, dass der Aussteller sie bucht. Wir verkaufen sozusagen ein Versprechen. Die Unternehmen zahlen vor der Messe viel Geld, weil sie hoffen, dass viele Besucher kommen. Wenn man dann die Aussteller hat, muss man zweitens zeigen, was für eine tolle Messe mit spannenden Innovationen diese ist, damit die Besucher kommen. Und wenn diese dann kommen, muss man dafür sorgen, dass alles gut organisiert ist. Wenn diese drei Dinge gut gelaufen sind, dann sind die Aussteller, denen man das Versprechen verkauft hat, zufrieden und sagen: „Das war noch besser als erwartet“. Ein Grund für sie wiederzukommen. Waren sie unzufrieden, kommen sie nicht wieder oder gehen woanders hin. Wir haben es mit Handwerk, aber auch ganz viel mit Menschen zu tun. Man muss als Messemacher genau zuhören und Bewegungen im Markt schnell wahrnehmen.
Das vollständige Interview mit Dr. Jochen Köckler …
Das vollständige Interview mit Köckler finden Sie in unserer Ausgabe 2/2019.