Schokoladen-Sommelier Kevin Lühmann: Ein Mann mit Vision

18. Februar 2022 / Lebensart

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Schokoladen-Sommelier Kevin Lühmann vermittelt in Kursen für Fachleute und private Genießer gehobenes Schokoladenwissen. Ein besonderer Schwerpunkt des Hannoveraners liegt auf der japanischen Schokoladenkultur. Foto: Thomas Bach

Kevin Lühmann aus Hannover ist Schokoladen-Sommelier einer der ersten in Deutschland. Beruflich viel international unterwegs, fand der Konditor, Lebensmitteltechniker und Bäckermeister dennoch einen Moment, um in der Vorweihnachtszeit über Japanische Schokolade, besondere Genüsse des zartschmelzenden Gaumenschmauses und seine Vision von Schoko-Konsum zu sprechen.

radius/30: Vielen Dank, Herr Lühmann, dass Sie sich die Zeit nehmen, obwohl jetzt Hochsaison ist!

Kevin Lühmann: Sehr gerne! Ich möchte ja, dass auch nächstes Jahr Menschen Interesse an meinen Themen haben, und deshalb bin ich aus Überzeugung ansprechbar und nehme mir wirklich gerne die Zeit!

Sie sind Schokoladen-Sommelier, einer von noch ganz wenigen in Deutschland. Wie wird man der erste in einer Branche?

Indem man eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten macht! (lacht) Nein, ich wollte andere Länder durch den Beruf kennenlernen und stellte fest, dass man als Koch, Bäcker oder Konditor international wesentlich bessere Möglichkeiten hat denn als Experte für deutsches Steuerrecht. Also habe ich in der Holländischen Kakaostube in Hannover das Konditorhandwerk gelernt. Dort hatte ich einen Kollegen aus Japan, der hier eine Ausbildung zum Meister machte, Geselle war er bereits. Wir freundeten uns an, ich lernte von ihm Konditor-Kniffe und er von mir die deutsche Sprache.

Ein japanischer Konditor also?

Ja, Süßes und Konditorenhandwerk haben durchaus einen besonderen Stellenwert in der japanischen Kultur. Um sich fortzubilden, kam dieser Konditor nach Hannover und ich erfuhr von ihm, dass die Japaner auch Schokolade sehr schätzen. Das hat mich so inspiriert, dass ich nach dem Ende meiner Ausbildung mein Reiseziel im Ausland von meinen geplanten Zielen Lettland und Ungarn nach Japan verschoben habe.

Sie sind komplett nach Japan gezogen und haben dort gearbeitet, als deutscher Konditor. Und haben sich dort zum Schokoladen-Sommelier weitergebildet?

Das kam erst später, wieder in Deutschland. In Japan habe ich zuerst, typisch japanisch, sehr viele Stunden pro Woche in einer kleinen Konditorei gearbeitet. Auch der dortige Meister hatte in Deutschland gelernt und es war natürlich super, dass er seine deutschen Gebäcke von einem Deutschen herstellen lassen konnte. Später habe ich in einem anderen Betrieb mit weniger Arbeitsstunden mehr Zeit gehabt, die kulturellen Eigenheiten des Landes zu studieren, vor allem das Verhältnis der Japaner zur Schokolade.

Haben die Menschen in Japan denn ein anderes Verhältnis zu Produkten aus Kakaobohnen als zum Beispiel die Deutschen?

Teils, teils. Vor allem schätzen sie zum Beispiel die Tafel Schokolade mehr, sie überreichen sie gerne als Geschenk. Die Verpackung ist dabei auch sehr wichtig, und außerdem, dass und wann ein Geschenk mitgebracht wird, unterscheidet sich zu hier. Als Gruß von einer Reise bringen Japaner etwas Typisches aus dem Aufenthaltsort mit oder als Entschuldigung, wenn sie ihre Familie für eine Dienstreise alleine lassen oder als Dank für die Kollegen, wenn diese die eigene Arbeit wegen Abwesenheit miterledigt haben. Dabei handelt es sich üblicherweise um verzehrbare Geschenke, die dann gemeinsam genossen werden. Staubfänger, wie sie hier gerne mal mitgebracht werden, kommen in Japan nicht in Frage, weil die Wohnungen viel zu klein sind und es dafür keinen Platz gibt. Da die Mitbringsel schon hochwertig verpackt sind, entfällt eine zusätzliche Geschenkverpackung. Schokolade gilt als westliche Spezialität, auch wenn es die erste industrielle Produktion in Japan schon in den 1920er Jahren gab. In Japan gibt es auch traditionelle Süßigkeiten, die seit Jahrhunderten nach unveränderten Rezepturen hergestellt werden. Schokolade gehört nur nicht dazu. Von Schokolade erwarten japanische Konsumenten aber jährlich Wandlungen und Neuigkeiten, das Angebot erfindet sich dort jährlich neu.

Was ist Ihre Vision als Schokoladen-Sommelier zwischen diesen beiden „Schokosphären“?

Meine Weiterbildung zum Sommelier habe ich 2017 bei der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim abgeschlossen, als damals erster Jahrgang. Die Ausbildung ist weltweit einzigartig und auch nur für Fachpersonal zugänglich. In meiner Abschlussarbeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, warum es in Japan im Vergleich zu Deutschland wesentlich mehr Handwerksbetriebe gibt, die hochwertige Schokolade direkt von der Kakaobohne herstellen. Dafür habe ich zahlreiche Betriebe in Japan besucht und befragt. Heute vermittele ich mein Wissen zwischen diesen beiden Märkten. Als Chocolatier beherrsche ich nicht nur das ganze Wissensspektrum von den Anbaugebieten und Produktionsbedingungen bis zu jedem technischen Schritt der Herstellung, ich kenne auch die aktuellen Schoko-Trends aus beiden Ländern. Ich bin laufend im Kontakt mit Produzenten und auch mit Handwerksbetrieben, ich reise seit vielen Jahren regelmäßig nach Japan, spreche die Sprache und pflege meine Kontakte ausgiebig. Ein einmaliger Aufenthalt hält einen nicht auf dem Laufenden. Der japanische Markt heute ist ganz anders als 2017, als 2010, als 2006, als ich zum ersten Mal dort war.

Das ist in dieser Kombination ziemlich einzigartig!

Sollte es weitere Chocolatiers mit dieser Spezialisierung geben, würde ich sie auf jeden Fall gerne kennenlernen! (lacht)

Meine Kunden sind Fachleute wie Konditoren und Köche, die sich in Kursen fortbilden wollen, um weitere Expertise zum Beispiel in der Sensorik guter Schokolade zu gewinnen, aber auch Genießer, die mehr über Produktion und Aromenentfaltung erfahren möchten. Inzwischen bin ich selbst Dozent an der Akademie Weinheim und darf dort Wissen vermitteln und ich habe eine eigene Produktlinie: Chocolate Vision. Beim International Chocolate Award des Institutes of Chocolate & Cacao Tasting London bin ich Juror und nehme häufig an Schokoladentastings teil. Gerne berate ich auch Deutsch-Japanische Gesellschaften, die eine Reise nach Japan planen, und gebe ihnen Tipps, was bezüglich Handwerksbetrieben für Schokoladenherstellung auf der Reise einen Besuch wert ist. Wenn die aktuelle Lage es nicht anders hergibt, finden meine Kurse und Vorträge übrigens als Videokonferenz statt, alles eine Frage der Vorbereitung.

Eine Frage zum Abschluss: Bei uns wird Schokolade herkömmlich mit Molkereiprodukten hergestellt, ist das auch in Japan so? Gibt es alternative Rezepte, weil Asiaten doch angeblich Laktose nicht gut vertragen?

Zumindest für Schokolade und Japan kann ich das nicht bestätigen! Spätestens durch den starken Bezug zu den USA nach dem zweiten Weltkrieg ist Milchviehhaltung und westliche Ernährung dort auch verbreitet, und gerade Schokolade gilt dort als westliches Produkt und wird genauso hergestellt. Wenn man Schokolade ohne Milchbestandteile sucht, empfehle ich eher dunkle Sorten, die bieten auch ein intensives Geschmackserlebnis. Alternativprodukte sind Geschmacksfrage, jedoch sind bislang in Japan Schokoladen mit Pflanzenmilch die Ausnahme. Milchalternativen sind ja in Deutschland auf dem Vormarsch und so sind wir hier auch weiter, was vegane Milchschokoladen-Alternativen betrifft.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute auf Ihrer Reise durch das leckere Universum der Kakaobohnen! 

Tipps für den Schoko-Genuss vom Schokoladen-Sommelier

Schritt für Schritt lernen Interessierte in den Kursen von Kevin Lühmann, wie aus der Kakaobohne hochwertige Schokolade entsteht. Foto: Kevin Lühmann

1. Der Geschmack guter Schokolade entfaltet sich in verschiedenen Abschnitten: beim in den Mund Stecken, beim Schmelzen der Kakaobutter und auch im Abgang. Da der Geschmack lange im Mund verbleibt, dauert es, bis man für Nachschub sorgen muss. Greift man automatisch schon nach dem nächsten Stück, weil die Masse im Mund genauso schmeckt, wie der Nachgeschmack nach dem Runterschlucken, spricht das für den Versuch, seinen Zuckerjieper zu befriedigen, aber nicht für gute Schokolade. Gute Schokolade erkennt man auch daran, dass man nach ein bis drei Stücken schokoladenglücklich ist.

2. Lassen Sie sie im Mund zergehen! Kakaobutter schmilzt bei Körpertemperatur und durch das Schmelzen entdecken Sie alle Aromen, die die Schokolade zu bieten hat, bis zu den Säuren, Gewürzen und Kakaonoten im Abgang. Schokolade ist das einzige Lebensmittel, das seine Konsistenz alleine durch Temperatureinfluss von fest zu flüssig ändert, ohne Zerkauen, ohne Auflutschen wie ein Bonbon.

3. Nicht im Kühlschrank aufbewahren, bitte! (Es sei denn, Sie haben einen Pralinenschrank). Durch den hohen Anteil an Fett nimmt Schokolade im Kühlschrank einerseits leicht den Geruch anderer Lebensmittel an. Zum zweiten stört man den zarten Schmelz, wenn das Produkt kälter als Zimmertemperatur ist, der Geschmack kommt nicht mehr zur Geltung. Wenn die kalte Schokolade auch noch zerkaut wird, bleibt praktisch nichts vom Genuss.

www.chocolate.vision

Text: Carmen Eickhoff

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