Künstler und Corona

27. Mai 2021 / Kultur

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Christoph Maria Michalski ist seit 2010 Selbst-Unternehmer und als Konfliktnavigator und Gesellschafter von Start-ups zur Digital Transformation aktiv.

Der Prolog

Als ich vom Maschinenbaustudium an die Musikhochschule Hannover wechselte, war eine Reaktion meines sozialen Umfeldes: „Jetzt wird er Musikclown!“ Ich schrieb mich da gerade für das Rhythmikstudium ein. Auf die Aussage „Ich bin Musiker, Fotograf, Maler …“ kommt heute oft die Frage: „Und was arbeiten Sie?“ Es scheint noch nicht bei jedem angekommen zu sein, dass „Künstler“ ein Beruf ist.

Gleichzeitig sitzen Menschen im Publikum von Vernissagen, Ballettaufführungen und Konzerten und genießen die Vorstellungen. Das zeigt die Ambivalenz zu diesem Thema auf. Im alten Rom gab es in schwierigen Zeiten wenigstens noch panem und circenses, Brot und Spiele. Bei konjunkturellen Schwankungen wird als Erstes an Kultur gespart und bei der Erholung wird dieser Bereich als Letztes hochgefahren. Jetzt kommt auch noch Corona dazu und es wird zu einem Drama.

Die Sache

Die Branche ist fallengelassen worden wie eine heiße Kartoffel. Die wirtschaftlichen Förderprogramme entsprechen in geringem Maße der Lebens- und Berufswelt von Kulturschaffenden, denn viele von denen sind Soloselbstständige und kleine „Familienunternehmen“.

Eine Mugge – das ist ein Begriff für „Musikalisches Gelegenheitsgeschäft“. Damit verdienen Zauberer auf Hochzeiten, Solisten beim Weihnachtsoratorium und die DJs auf der Firmenparty ihr Geld. Natürlich gehört dazu auch die Event- und Veranstaltungsbranche mit Ton, Licht, Catering und so weiter. Der Umsatzeinbruch durch Corona setzte schlagartig und verheerend ein. Schnelle Hilfe wurde versprochen und Förderprogramme wurden aufgelegt. Die technischen Plattformen zur Beantragung kamen schleppend in Gang, die Förderrichtlinien waren und sind unklar und werden spontan inhaltlich verändert. Teilweise geht es nur mit einem Steuerberater oder eigener Anmeldung in ein Bundesportal, was eine große Herausforderung ist.

Das Hemmnis

Das fatale Wort bei den Förderungsmaßnahmen lautete Betriebskosten. Im März 2020 wurden ohne klare Rahmenbedingungen die ersten Gelder ausbezahlt. Dann tröpfelte immer mehr durch, dass diese Mittel nicht für den Lebensunterhalt verwendet werden dürfen. Ganz zu schweigen von dem Auszahlungsverzug, der mittlerweile bei allen Förderprogrammen an der Tagesordnung steht. Betriebskosten sind Mieten, Leasing, Versicherung, Büro und andere Ausgaben. Die größten Dürremonate für viele sind Januar und Februar eines Jahres, da werden die meisten Versicherungen, Dienstleistungen und Altersvorsorge abgebucht. Das wären zum Teil Betriebskosten gewesen. Zu spät!

Was hat ein Künstler für Betriebskosten? Instrumente und Equipment sind gekauft, großformatige Werbung wird sowieso nicht geschaltet. Sie ahnen: Wahrscheinlich über 80 % der Förderung muss zurückgezahlt werden, dabei ist es aber schon ausgegeben. Kellnern geht auch nicht. Wohl dem, der einen anständigen Beruf gelernt hat: Ein Comedian arbeitet wieder in seinem Beruf als Steinmetz, ein anderer schleppt Getränkekiste. Der Cirque du Soleil hat Ende Juni 2000 über 3.500 Mitarbeitende, das sind fast 95 % seiner Beschäftigten, entlassen.

Das Digitale

Hat die Branche einen Eigenanteil an ihrem Leid? Im Internet gibt es überall umsonst Konzerte, Shows, Unterricht. Das mag als mentales Pflaster ein psychologisch wichtiger Aspekt sein. Gleichzeitig ist es Kannibalismus, weil die Kunden geprägt werden, dass Online-Content frei verfügbar sei. Was ist sich ein Künstler selbst wert? Streamingdienste haben die Tantiemenzahlungen schon einmal kräftig durchgerüttelt und nun leisten die Künstler dieser Tendenz auch noch Vorschub durch das Verschenken der Kunst.

Die Lobby

Im Jahr 2019 hat besagte Branche 3,1 % zum BIP, das sind 106,4 Milliarden Euro, beigetragen. Damit liegt sie vor der Chemie-, Energie- und Finanzbranche, nur die Autoindustrie hat größeren Anteil. Unbestritten ist, dass ein kulturelles Umfeld auch gelebte Standortförderung ist, die ein Faktor für die Ansiedlung von Unternehmen und Arbeitskräften ist. Es gibt Dachverbände und Berufsvereinigungen, die es aber in dieser harten Zeit nicht geschafft haben, eine geschlossene Einheit für die Sorgen und Nöte der Vereins- und Verbandsmitglieder zu gestalten. Jeder wuselt in seinem Terrain und frönt dem Eigennutz. Da nutzen auch Videos von Till Brönner – so gut sie sein mögen – relativ wenig. Einen einsamen Kampf kämpft zum Beispiel eine Schleswig-Holsteinerin, die mit einer bemerkenswerten Hartnäckigkeit versucht, mit den Größen der Politik in Kontakt zu bekommen: „Wir melden uns bei Ihnen!“ ist der Satz, den sie am häufigsten hört. Solopreneur heißt nun mal übersetzt „allein unternehmen“.

Liegt es in der Natur der Sache, dass Bühnenmenschen Einzelkämpfer sind, sogenannte Rampensäue? Ja, es kann schließlich nur einen Solisten geben, eine Hauptrolle, eine Primaballerina, einen erfolgreichen Bildhauer. Scheinbar ist die Not noch nicht so groß, dass sie dem deutschen Sprichwort nach zusammenschweißt.

Die Nachwirkungen

Es gibt einen weiteren gesellschaftlich wichtigen Aspekt: Was passiert gerade mit musikalischer Erziehung, Bewegungsunterricht, der an Instituten oder Berufs- und Hochschulen gelehrt wird? Unbestritten ist, dass künstlerische Bildung ein elementarer Bestandteil zur persönlichen Entwicklung von Menschen ist und damit letztendlich der Wirtschaft und gesamten Gesellschaft dient. 

Etwas theatralisch formuliert: Eine ganze Generation von Künstlerinnen und Künstlern geht verloren.

Die Forderungen

Die sind relativ einfach zu formulieren: Die Hilfe muss schneller, unkomplizierter und wirklichkeitsnäher sein. So einfach ist das!

Text: Christoph Maria Michalski

Zur Person

Christoph Maria Michalski ist seit 2010 Selbst-Unternehmer und als Konfliktnavigator und Gesellschafter von Start-ups zur Digital Transformation aktiv. Als Ex-Geschäftsführer eines Bildungsträgers mit über 700 Mitarbeitenden hat er von Expansion bis GmbH-Löschung (fast) alles mitgemacht – jedes graue Haar eine Erfahrung!

Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen um die Entstehung und das richtige Handhaben von Konflikten. Dabei verbindet er in seinen Lösungsvorschlägen kreative Ansätze mit methodischer Vielfalt und technischer Präzision. Sein Wissen zum Thema Konflikte und Konfliktlösung gibt er in seinen Büchern, Vorträgen oder direkt vor Ort in Unternehmen weiter.

www.christoph-michalski.de

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