New Work – Arbeitswelt der Zukunft oder gehyptes Buzzword ohne viel Substanz? radius/30 hat sich mit Martin Thiele, Geschäftsführer der In Stability GmbH & Co. KG sowie der GASTFREUNDSCHAFFT GmbH, zu Chancen, Risiken und der Rolle des neuen Arbeitens in Coronazeiten unterhalten.
radius/30: Herr Thiele, wen betrifft New Work überhaupt?
Martin Thiele: Kurz gesagt: alle. Niemand kommt in Zukunft daran vorbei, weil New Work einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Entwicklung unterliegt. Egal, ob Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Führungskraft … ignorieren geht nicht. Die Art, wie wir arbeiten, wird sich verändern. Man kann sich nicht nicht damit beschäftigen. Organisationen werden sich zwangsläufig damit auseinandersetzen müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten. Und die Auseinandersetzung mit New Work ist sinnvoll und lohnenswert. Viele Menschen sagen, New Work ist etwas, was von außen auf sie zukommt und zu dem sie noch keine richtige Meinung haben. Das begegnet mir häufig. New Work geht aber nicht wieder weg.
Was verstehen Sie unter New Work?
Dem Sammelbegriff New Work liegen im Wesentlichen drei Entwicklungslinien zugrunde: Erstens die Herausbildung eines eher sinn- und beziehungsorientierten Menschen- und Weltbildes, das weniger an einseitiger ökonomischer Rationalität oder reiner Leistungsorientierung ausgerichtet ist. Zweitens die Entwicklung völlig anderer Prinzipien und Formen von Zusammenarbeit mit dem Fokus auf Selbstorganisation versus der bislang überwiegend praktizierten und noch tayloristisch inspirierten Formen von funktionaler und hierarchischer Arbeitsteilung und Kooperation. Und drittens die Entwicklung neu gedachter physischer Arbeitsräume, die Zusammenarbeit in veränderter Form unterstützen bzw. ermöglichen versus der Frage, wie viele Mitarbeiter auf möglichst wenig Raum passen.
Bleiben wir beispielhaft bei der letzten Perspektive: Es ist bei New Work kein fester Platz mehr notwendig, an dem ich meine Arbeit mache. Das gilt jedoch nicht für jeden Menschen und Arbeitsplatz gleich – es ist keine Generalisierung möglich. Manche Arbeitsplätze erfordern andere strukturelle Lösungen. New Work wird aus architektonischer Sicht manchmal als „Flächeneffizienzprogramm“ missverstanden: Dabei bedeutet es nicht, einfach nur das Großraumbüro in „Open Space“ umzubenennen. Denn wenn die Grundüberlegungen dahinter nicht klar ist, kann ich noch so viele Möbel verändern und es wird nichts nützen.
Worauf müssen wir achten, wenn wir uns der Auseinandersetzung mit New Work stellen?
Wichtig ist eine holistische, differenzierte und bewusste Auseinandersetzung mit dem, was ich als Organisation erreichen möchte. Die illusionären Anteile, was New Work alles bedeuten kann, sind dabei häufig das Problem. Illusionäre Anteile waren zum Beispiel die Aussagen vieler Unternehmen in den letzten Jahren: Homeoffice geht nicht. Da ist die Frage, mit welchem Bezugsrahmen ich in die Welt schaue? Menschen neigen dazu, alles auszublenden, was nicht in ihren Bezugsrahmen passt. Eine Führungskraft kann der Meinung sein, Homeoffice bedeute, dass der Angestellte seinen Grünschnitt wegbringt. Eine differenzierte Betrachtung ist zum Beispiel die Frage: Was heißt New Work überhaupt für mich als Person oder für uns als Organisation? Welche Ziele wollen wir damit erreichen und wie unterstützt dies die Entwicklung unserer Organisation? So eine Auseinandersetzung ist enorm hilfreich.
Wichtig ist bei der Betrachtung die Bedeutungsebene: Was ist für uns sinnvoll? Und da sind wir schon bei einer Herausforderung: Eine rein strukturelle Betrachtung – beispielsweise nur Methoden zu implementieren oder neue räumliche Lösungen zu schaffen – reicht nicht aus. In einem großen Konzern haben sie vor einigen Jahren einen Ruheraum eingerichtet mit dem Ergebnis, dass er von allen gemieden wurde, weil sich auf keinen Fall jemand in diesem Ruheraum beim Entspannen „erwischen“ lassen wollte, dann wäre man raus gewesen.
Aber mit welcher Intention wurde dieser Ruheraum eingerichtet?
An sich war es gut gemeint. Die große Hoffnung von solchen Angeboten ist ja, dass die Mitarbeiter sich dadurch verbunden fühlen. Dafür sind aber weder Angebote wie Tischkicker, Bällebad und Sushi entscheidend. Eine interessante weltweite Studie von Gallup zu Anfang letzten Jahres hat herausgefunden, dass der Engagementindex der Mitarbeiter im Schnitt seit Jahren gleich niedrig bleibt, egal, ob Sushi angeboten wird oder nicht.
Vor allem kulturelle Aspekte sind bei der Betrachtung von New Work entscheidend. Nehmen wir zum Beispiel die Vertrauensarbeitszeit. Es werden keine Stunden mehr erfasst, der Erfolg wird nicht an der Arbeitszeit gemessen, sondern an den Ergebnissen. Grundsätzlich ein charmanter Gedanke, aber in vielen Betrieben ist das gar nicht möglich, da die Arbeitsstunden und insbesondere eingehaltene Pausenzeiten vom Arbeitgeber nachgewiesen werden müssen. Damit wird der Gedanke der Vertrauensarbeitszeit systemisch ad absurdum geführt. Idealistische Vorstellungen lassen sich nicht immer materialisieren. Da steht das gewünschte Ziel – großes Vertrauen – einem „geht nicht/darf ich nicht“ gegenüber.
Gibt es noch vergleichbare Beispiele?
Ähnlich verhält es sich mit der Selbstverantwortung: Schon das Wort ist terminologisch diffus, denn eigentlich ist damit im Kontext von New Work nicht die Verantwortung für mich selbst, sondern für ein „Uns“ gemeint. Eine geteilte Verantwortung. Aber was geschieht zum Beispiel in Entscheidungsprozessen bei Uneinigkeit? So können tolle Ideen in einem Konsens auch zu einem kleinsten gemeinsamen Nenner kommen. Ich kenne ein Start-up, in dem die Führungskräfte regelmäßig neu gewählt werden. Inzwischen sind die meisten Mitarbeiter von diesem ursprünglich sehr innovativen Konzept genervt, weil sich damit gefühlt ständig die Rollen ändern und Beziehungen leiden. Oder Führungskräfte, die bei mehr Mitentscheidung ihrer Teammitglieder schnell an die Frage kommen, ob oder wie sie selber denn in Entscheidungsprozesse eingreifen, wenn sie anderer Meinung sind. Das wirft Fragen von tatsächlicher Verantwortungsübernahme und damit Orientierung auf. Ein Beispiel: Nehmen wir ein Unternehmen, das eine Pilotfläche mit neuen Arbeitsräumen einrichtet und die Mitarbeiter nach einer definierten Zeit darüber abstimmen lässt, ob diese ausgeweitet werden soll. 53 Prozent stimmen dagegen. Was jetzt? Die Fläche wieder abbauen? Solche Konsequenzen müssen vorher überlegt werden. Mitverantwortung heißt nicht Anarchie oder alle machen alles. Viele wollen gerne entscheiden, Entscheidungen erfordern aber auch Verantwortung. Die wollen nicht alle übernehmen und das ist auch völlig in Ordnung. Aber da sind wir wieder beim illusionären Teil: Die Organisation wird auf diese Art nicht so vorankommen, wie sie angenommen hat. Die idealistische Vorstellung, Führung „abzuschaffen“, funktioniert nicht, sondern führt eher zu Frust. Es macht also mehr Sinn, andere situativ einzubeziehen und vorab zu klären, wer wie wo eingebunden wird. Führung hat häufig noch den überhöhten Selbstanspruch, alles zu wissen und alle miteinzubeziehen. Dabei sind viele Mitarbeiter müde, sich in zahlreichen Workshops mit Dingen auseinanderzusetzen, die nicht ihr Kerngebiet betreffen.
Das vollständige Interview mit Martin Thiele …
… lesen Sie in unserer aktuellen radius/30 Frühjahrsausgabe.
Zur Person
Martin Thiele ist Wirtschaftsingenieur und war bei der Continental AG in verschiedenen Führungsfunktionen im strategischen Einkauf und eBusiness in Deutschland und den USA tätig, bevor er sich selbstständig machte und gemeinsam mit Dr. Michael Korpiun in 2012 In Stability und in 2017 GASTFREUNDSCHAFFT gründete.
Die In Stability GmbH & Co. KG ist eine international tätige, beziehungsorientierte Organisationsberatung und spezialisiert auf die nachhaltige Verankerung von Veränderungen bei Menschen und Organisationen. Darüber hinaus führt das Unternehmen vielfältige Weiterbildungen in beziehungsorientierter Persönlichkeits-, Team- und Organisationsentwicklung durch.
www.in-stability.de
GASTFREUNDSCHAFFT bietet Tagungsräume für Organisationen und ihre Mitarbeitenden sowie Moderator-, Berater- und CoachInnen. Mitten in der Großstadt Hannovers und zugleich eine Oase für sich auf dem Parkhaus Osterstraße (6. Etage) fußläufig von Bahnhof und öffentlichen Verkehrsmitteln. Auf mehr als 450 m2 können die Gäste hier „einfach gut tagen“.
Die Räume richten sich dabei nach den Menschen und ihren Bedürfnissen. Aus Überzeugung werden den Gästen daher flexible Raumkonzepte mit unterschiedlichen Möblierungen angeboten, damit alle ihr kreatives Potenzial gut entfalten können.
www.gastfreundschafft.de
Interview: Susanne Bührer