Robotik in Hannover zum Anfassen

13. Januar 2023 / Digitalisierung

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Keine Berührungsängste beim Thema Robotik, das gilt in der Robotics City in Hannover. Mit Unterstützung der Wirtschaftsförderung der Region gedeiht ein Bildungscluster in der Nordstadt, das alle Alters- und Gesellschaftsgruppen anspricht. Die Region Hannover ist inzwischen ein wichtiger Robotik-Standort in Niedersachsen und bundesweit. Größter Wert wird dabei auf die Wissensvermittlung gelegt. Nach der allgemeinen Vorstellung in der letzten Ausgabe 3/2022 hat radius/30 drei Lern-Orte in der Robotics City Hannover besucht und stellt die Anlaufstellen genauer vor.

Es sind spannende Bildungsangebote mit Mitmachfaktor in der Robotics City: Ferngesteuerte Miniroboter selbst entwerfen und funktionstüchtig zusammenzubauen ist hier was für die Jüngsten. Fortgeschrittenere Semester lernen, fertige Roboter flink zu programmieren und für eigene Zwecke nutzbar zu machen. So einfach ist das mit dem Zukunftsthema, an das viele Menschen sich noch nicht herantrauen.

Das Roberta RegioZentrum, die Roboterfabrik und die Robokind Stiftung laden jederzeit dazu ein, in die Welt der Robotik in Hannover einzusteigen. Für Grundschülerinnen, Jugendliche und junge Menschen, Lehrende oder Inhaberinnen kleiner Unternehmen bieten die Projekte Einführungstage oder vertiefende Kurse an. Die Kurse qualifizieren teilweise bis zu IHK-Zertifikaten, zum Beispiel als „Operator Healthcare Robotics“.

Roberta RegioZentrum für den Nachwuchs

Im Roberta RegioZentrum an der Appelstraße lernen die Jüngsten die Evolution der Lego- und Fisher-Price-Roboter ihrer Eltern und Großeltern kennen: programmierte Minirobots, die sich eigenständig bewegen. Je nach Altersgruppe tatsächlich aus Lego, später dann aus anderen Materialien. Es gibt Tage der offenen Tür, zu denen besonders Schulen eingeladen sind, Tage für bestimmte Besuchsgruppen (Lehrende, Mädchen, Wettbewerbe) und dauerhafte Angebote nachmittags. Altersübergreifend werden in den Nachmittagsgruppen grundlegendes Robotikverständnis geweckt und Fähigkeiten wie Technikverständnis oder Problemlösungskompetenz gefördert.

So auch bei den Oberstufenschülerinnen Lara und Melissa, die im Roberta RegioZentrum das Spielfeld für die Roberta Challenge für regionale Schulgruppen vorbereiten. Sie kamen vor Jahren durch Mädchenprojekte an ihren Schulen in Hannover mit der Robotik in Berührung und sind längst engagierte Macherinnen im RegioZentrum. „Damals war es gut, dass wir Mädchen einfach alles machen konnten, ohne dass ständig Jungs reingrätschten“, blickt Lara zurück. Dann kam der Mädchentag „in der Roberta“, wie sie hier sagen, zu dem auch Lara kam, und sie blieb. Mit rund einem Dutzend anderer Jugendlicher trifft sie sich wöchentlich, teils mehrfach, um gemeinsam zu arbeiten, zu tüfteln und an den Minirobotern zu bauen. Es ist ein Hobby wie Geige oder Handball, aber mit deutlich mehr Daniel-Düsentrieb-Faktor. Mit einem gewissen Interesse für Naturwissenschaften ist der Einstieg jederzeit möglich. „Herkommen, umschauen, mitmachen und aus Fehlern lernen“ laute das Motto, so die Gründerin des Zentrums, Ina May. Sie koordiniert die Kinder- und Jugendgruppen und auch die Projekttage. Programmiersprachen und weitere Fähigkeiten erwerben die Kinder dann gewissermaßen nebenbei.

Menschlich muss es passen, wenn man mitmachen möchte. Es seien nicht alle Schülerinnen, die ins RegioZentrum kommen, von Beginn an so teamfähig wie das inzwischen gut eingespielte Team von Mays Oberstufenschülerinnen. Starke Charaktere treffen hier gelegentlich aufeinander, die es von zu Hause nicht immer gewohnt sind, sich einzuordnen. Wer sich aber einordnen kann und bis zum Ende des Gymnasiums dabeibleibt, bleibe auch meistens beruflich in der Branche. Das ist bei diesem Hobby immerhin wesentlich einfacher als beim Fußball.

Wer programmiert am schnellsten?

Zurück zur Roberta Challenge, die vorbereitet wird: Schulmannschaften nehmen mit ihren fahrbaren Robotern aus Lego an dieser Challenge teil. Das Spielfeld hat Tischgröße, den aufliegenden Aufgabenparcours designen und bauen die Jugendlichen in der Werkstatt selbst. Sie sägen, feilen oder drucken ihr Material, alle Entwürfe stellen sie am Rechner fertig. Skizzen auf Papier? Dienen nur der schnellen Visualisierung von Optimierungsansätzen. Teile, die es nicht gibt, drucken sie im 3D-Drucker, beispielsweise einen roten Arm. Neun Stunden braucht er, bis er ausgedruckt ist. Woraus sich die logistische Frage für alle ergibt, wann der Arm gedruckt werden kann, damit der Drucker nicht für andere Objekte blockiert ist, und auch, wer neun Stunden lang immer mal wieder nach dem Fortgang schauen kann. Der Parcours der Challenge simuliert eine Operation am Herzen, den Austausch einer Armprothese (der rote Arm wird ausgetauscht), und Fieber ist zu messen. Die Roboter sind nicht ferngesteuert, sondern müssen die Aufgaben selbstständig erledigen. Ihnen das möglichst schnell beizubringen, ist die Aufgabe des Wettbewerbs.

Die Roberta Challenge rundum vorzubereiten und zu begleiten ist eher ein großes Nebenprojekt der älteren Schüler*innen. Sie entwickeln und programmieren diffizilere Miniroboter und nehmen damit weltweit an internationalen Wettbewerben teil. Erfolgreich, sehr erfolgreich: Ein langer Zeitstrahl dokumentiert im Roberta RegioZentrum ihre nationalen und internationalen Siege.

Roboterfabrik in Hannover lädt zum Anfassen ein

Eine Tür weiter befindet sich in der Appelstraße die „Roboterfabrik“. Sie ist Anlaufstelle für Auszubildende, Studierende und interessierte Erwachsene, die ein wenig oder ein wenig mehr in den Kosmos der kollaborativen Robotik eintauchen möchten. Dort laden mehrere einarmige Roboter mit vielen Gelenken zum Kennenlernen ein. Sie eignen sich für veränderliche Aufgaben in kleinen und mittelständischen Unternehmen und können leicht von angelernten Kräften programmiert werden. Die Roboterfabrik informiert über Möglichkeiten und Einsatzgebiete, vermittelt den Besuchenden aber auch einen Einstieg in die intuitive Bedienung der Geräte.

Einsatzbedingung für diese Art von Roboter ist ein repetitiver Aufgabencharakter, maximale Tragkraft des Armes sind drei Kilogramm. Solche Tätigkeiten finden sich sogar in Cafés, sagen Marvin Becker und Pascal Popp, die den Cobot, den kollaborativen Roboterarm, als Barista programmieren wollen. Dazu werden Abstände ausgemessen und per Klick auf dem Rechner gespeichert, genau wie die Funktionen „drücken“ und „greifen“, ganz einfach mit intuitiven Apps. Das Espressopulver mit dem Stempel in den Siebträger zu pressen entspricht einer idealen Anforderung für die Fähigkeiten des Cobots. Die Geradlinigkeit der Bewegungen und der erforderliche Druck sind Paradekompetenzen der wandelbaren Technikhelfer. Während der Barista-Cobot sich um die Herstellung des Heißgetränks kümmert, soll dem menschlichen Barista mehr Zeit für die Kundschaft bleiben, so die Vision.

Eintönige Arbeit abgeben

Wichtig ist den Forschenden der Roboterfabrik, die zur Leibniz Universität Hannover gehört, dass vorrangig stupide oder gefährliche Aufgaben von Maschinen übernommen werden sollen. Es geht um Arbeitserleichterung und Neugewichtung von Aufgaben in der Arbeitswelt, aber auch um Fachkräftemangel, betont Oberingenieur Torsten Lilge, der Regelungstechnik an der Uni lehrt und für Studierende in der Roboterfabrik Seminare anbietet. Das Barista-Beispiel ist exemplarisch für das Neudenken von Arbeitsverteilung: natürlich ist es wunderbar, wenn Baristi mit Begeisterung einen Espresso machen. Doch seit Pandemiebeginn fehlt in der Gastronomie viel Personal und eine letztlich mechanische Tätigkeit an der Kaffeemaschine ohne Kundenkontakt könnte ebenso gut von einem Cobot übernommen werden.

Kollaboration von Mensch und Maschine

Besondere Fähigkeiten der Cobots sind das sofortige Stoppen der Bewegung bei Kontakt mit ungeplanten Hindernissen und vorsichtiges Rütteln, um beispielsweise verdrehte Zahnräder vorsichtig ineinander einzurasten. Das macht ihren Einsatz im Vergleich zu den bekannten Industrierobotern sicher und vielfältig. Lehrkräfte und Azubis verschiedener Fachrichtungen lernen in der Roboterfabrik schon nach rund zwei Stunden grundlegender Einführung, eigene Programme für die Cobots zu schreiben. Die Benutzeroberfläche ist extrem intuitiv, Schritt für Schritt werden die Aufgaben für den Roboter programmiert.

Robokind Stiftung

„Intelligent“ Kleinteile zu sortieren ist eine Aufgabe, für die ein deutscher Fahrzeughersteller Cobots bereits einsetzt. Mit einprogrammierten Ausschlusskriterien sortiert die Maschine Teile auseinander; ein typisches Beispiel einer notwendigen, aber stupiden Tätigkeit, die so keine Personalstunden mehr bindet. Leif Griga, Projektleiter bei der gemeinnützigen Robokind Stiftung, die aktiver Partner von Robotics City ist, unterstützt niedersachsenweit die Wissensvermittlung der Schlüssel- und Zukunftstechnologien Robotik und KI und nennt neben der Branche der Fahrzeughersteller als denkbare Einsatzfelder robotischer Unterstützung bei sich wiederholenden Tätigkeiten und Automatisierungsprozessen u. a. insbesondere das Handwerk, aber auch viele weitere Branchen wie das Gastro-und Lebensmittelgewerbe und zunehmend auch den medizinischen und Pflegebereich.

Die Robokind Stiftung hat ihr Zentrum für Robotik im Gesundheitswesen (ZeRiG) in nicht mehr genutzten OP-Sälen im KRH Klinikum Hannover Nordstadt eingerichtet und führt seitdem erfolgreich Schulungen für verschiedene Zielgruppen – insbesondere auch für medizinisches Fachpersonal – durch. Im Bereich Medizin und Pflege wird der Einsatz von Robotik und KI künftig besonders wichtig, prophezeit Leif Griga. Eines der Angebote, die durch die Stiftung koordiniert werden, ist das Zusammenführen von Bedarfen, die Ärzte und Pflegepersonal aufzeigen können, und der Technik, deren grundsätzliche Möglichkeiten die Uni Hannover kennt. Gemeinsam werden spezifische Lösungen für verschiedene Einsatzfelder in Medizin und Pflege entwickelt.

Auch leistet die Robokind Stiftung in Hannover mit umfassender Sensibilisierungsarbeit hinsichtlich der spannenden Zukunftstechnologie Robotik in verschiedenen Formaten wie Infoveranstaltungen und adressiert hier Unternehmen verschiedenster Branchen; ganz gleich, ob sie sich den Einsatz von kollaborativer Technik schon dezidiert oder eher noch nicht für ihr Haus vorstellen können. Das Wissen um die Möglichkeiten in den relevanten Bevölkerungsgruppen zu streuen und Akteure zu vernetzen, ist eine der elementaren Aufgaben der Stiftung. In den Kursen der Stiftung stehen Aufbau und Funktionsweise von Robotern, mathematische Grundlagen, die Mensch-Roboter-Kollaboration und Prozessautomatisierung auf dem Lehrplan, genauso wie Kollisionsvermeidung und Sicherheitsaspekte.

Facharbeiterinnen und Facharbeiter schließen nach erfolgreicher Teilnahme bei Robokind ihren Lehrgang mit dem Zertifikat Operator for Tactile Robotics ab. Entscheidet sich ihr Unternehmen für den Einsatz eines kollaborativen Robotiksystems, zu dessen Anschaffung und Finanzierung auch die Wirtschaftsförderung der Region Hannover berät, werden sie die ersten Ansprechpartner für ihre Kolleginnen und Kollegen sein. Sie werden qualifiziert, Anwendungsmöglichkeiten der Robotik im Unternehmen zu erkennen und die Geräte selbst zu programmieren.

Text und Bilder: Carmen Eickhoff, Robokindstiftung

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