
Text: Oliver Züchner
Imker setzen auf Digitalisierung und Vernetzung ihrer Bienenstöcke. Denn den Insekten geht es nicht gut. Mithilfe von Sensorik und Künstlicher Intelligenz wollen sie Gefahren frühzeitig erkennen und abwehren.
Hartmut Münch bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Doch geht es um Bienen, steigt der Adrenalinspiegel des Bienenhalters, der sich im Verein „Hannover summt!“ engagiert. „Wir müssen den Bienen helfen!“, sagt der 50-jährige Imkermeister bestimmt. „Den Bienen geht es weltweit schlecht. Aber wir brauchen sie: für unsere Natur- und Pflanzenwelt und unsere Ernährung.“ Daher setzen Imker wie Münch auf digitale Vernetzung ihrer Völker, um den Gesundheitszustand der Tiere zu erkennen und Gefahren abzuwenden. Denn auch wenn die Zahl der Bienenvölker seit 2010 kontinuierlich von knapp 700.000 auf 1 Million angewachsen ist und vom Bienensterben kaum noch gesprochen wird, sind die Tiere doch in Gefahr.
„Schaut man weiter zurück, erkennt man, wie groß die Verluste im Bienenbestand tatsächlich sind“, sagt der Imker, der mit 12 Jahren seinen ersten Bienenkasten baute. Er nennt die aus seiner Sicht drängendsten Probleme: Insektizide aus der Landwirtschaft, Versiegelung von Flächen, Verlust von Lebensräumen und die Varroa-Milbe. Aktuell sei die Hälfte aller rund 600 Bienenarten in Deutschland vom Aussterben bedroht, darunter auch die Honigbiene.
Bienen erhalten die Arten
Bienen, die gemeinschaftlich in Völkern oder einzeln als Solitärbienen leben, zählen weltweit zu den wichtigsten Bestäubern. Damit helfen sie den Pflanzen, die eigene Art zu erhalten, erklärt Münch: „Bienen ernähren sich von Nektar. Fliegen sie eine Pflanze an, bleibt an ihrem haarigen Körper der Pflanzenpollen hängen. Er enthält die Zellen, die durch den Weiterflug zur nächsten artgleichen Pflanze gelangen. Deren Eizelle wird dann in der Blüte befruchtet.“ So tragen Bienen zum Erhalt vieler Nutz- und Wildpflanzen bei. Laut Deutschem Imkerbund hängen 85 Prozent der Erträge im landwirtschaftlichen Pflanzen-, Gemüse- und Obstbau von der Bestäubung durch Honigbienen ab. „Ohne sie würden wir weniger Obst und Gemüse ernten. Die Qualität der Produkte wäre schlechter“, sagt Imker Münch, dessen Bienen unter anderem im Garten der Niedersächsischen Staatskanzlei sammeln. Dazu kommt die Produktion von Honig, von dem jeder Deutsche rund 1 kg jährlich verzehrt – produziert aus 3 kg Nektar, für den die 40.000 Arbeiterinnen eines Bienenvolks 240.000 km Flugstrecke zurücklegen, so (recht grobe) Schätzungen.
Gerne wird die Biene als drittwichtigstes Nutztier nach Rind und Schwein bezeichnet – eine Behauptung, die Münch in Wallung geraten lässt. Denn werde die Biene zum domestizierten Nutztier gestempelt, verdecke das ihre Bedeutung für die Umwelt. „Biologisch falsch ist es auch“, sagt der Imker. „Bienen sind genetisch immer Wildbienen, ob sie nun in Bienenkästen leben oder in freier Natur.“ Dabei greifen Imker bereits durch die Fütterung aktiv in das Leben eines Bienenvolkes ein.
Imker forschen
Anfang März 2025: Münch und weitere Mitglieder von Hannover summt! hängen Schutzkästen für Solitärbienen im Rittergut Lucklum bei Braunschweig auf. Die Bienenschützer sind dem wissenschaftlich kaum erforschten Verhältnis von Solitärbienen und Bienenvölkern auf der Spur. Fressen die Honigbienenvölker den Solitärbienen Nektar und Pollen weg? Beeinträchtigen sie durch Futterkonkurrenz die Fortpflanzung der Solitärbienen? Sollen Imker auf sie bei der Aufstellung der Bienenkästen Rücksicht nehmen?
Für ihre Forschung müssen die Vereinsmitglieder alle paar Wochen rausfahren und nachzählen, wie viele Solitärbienen in den Kästen brüten. „Mit Kameras und Künstlicher Intelligenz wären Erfassung und Auswertung viel präziser, einfacher und schneller“, sagt Münch. Daher haben die Bienenschützer weitere, noch nicht installierte Kästen auf eigene Kosten mit Raspi-Kleinprozessoren und Mini-Videokameras ausgestattet. Die Anbindung soll via WLAN erfolgen, die Stromversorgung über Batterien und PV-Module. „Offen ist die Frage, wie wir die Bilder mithilfe von KI auswerten können“, sagt Münch, der sich vom Landwirtschaftsministerium oder der Bingo-Umweltstiftung ein wenig Unterstützung erhofft hätte. „Dabei ist immer von Artenschutz und Biodiversität die Rede“, bemerkt er.
Bienen fliegen auf KI
Seine Kritik ist nicht einfach von der Hand zu weisen. So forschten in Hannover das Mittelstand-Digital Zentrum und das IPH – Institut für Integrierte Produktion 2023 – 24 an der Möglichkeit, die Aktivität von Bienen mittels Kamera und KI auszuwerten. Das Ziel waren Erkenntnisse für den Bienenschutz, vor allem aber leistungsfähige KI-Modelle, mit deren Hilfe Unternehmen ihre Produktion optimieren können. Dazu wurde auf dem Institutsgelände in Hannover-Marienwerder am Eingang des Bienenstocks eine Kamera installiert. Hinzu kam eine gerasterte Landefläche, die half, die Größe der Bienen festzustellen. So erkannte das System nicht nur, wann wie viele Bienen in den Bienenstock ein- und ausflogen. Die KI ermittelte nach einer Anlernphase auch, ob es sich um Drohnen oder Arbeiterinnen handelt und ob diese leer oder mit Pollen zum Stock zurückkommen. In Zukunft könnte das von KI-Trainerin Paulina Merkel entwickelte KI-Modell zum Beispiel helfen, die Bedrohungen eines Bienenvolks durch Raub und Krankheit zu erkennen. „Leider war die praxisnahe Anwendung nicht mehr Teil des Projekts“, sagt die Forscherin, die ihr KI-Modell auf der Open-Source-Plattform GitHub zur freien Nutzung bereitgestellt hat. „Andere können dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.“
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… finden Sie in der radius/30 Ausgabe Juni/Juli/August.