Verfolgung und Überleben im Spiegel der Sammlung von Shaul Ladany

12. Januar 2023 / Kultur

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Globale sowie regionale Politik und „Geschichte“ haben Auswirkungen auf individuelle Schicksale – mal mehr, mal weniger. Dass dies insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus gilt, ist hinlänglich bekannt. Bedingt durch die nationalsozialistische Verfolgungspolitik und deren breite Akzeptanz und Umsetzung in der deutschen Gesellschaft mussten Familien ihre Heimatorte verlassen, wurden in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt, viele von ihnen ermordet. Die Überlebenden mussten sich mehrheitlich neue Heimatorte suchen. Ihre Nachkriegsgeschichten werden im deutschen Erinnerungsnarrativ nur rudimentär wahrgenommen.

Selten gibt es Biografien, die zusätzlich zum Schicksal im Nationalsozialismus einen weiteren Bezug zu Deutschland haben und deswegen besonders prägnant auf Verbindungslinien hinweisen. Die Geschichte Shaul Ladanys ist eine von ihnen. Shaul Ladany wird als zweites Kind des Ehepaars Sofia und Dionis Ladany am 2. April 1936 in Belgrad geboren, das damals zum Königreich Jugoslawien gehört. Als Deutschland Jugoslawien 1941 überfällt, flieht die Familie nach Ungarn. Als sich die ungarische Regierung von Deutschland zu lösen versucht, besetzt die Wehrmacht im März 1944 das Land. Wenig später werden die jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Ghettos gesperrt und die Deportationen nach Auschwitz initiiert.

Das Ehepaar Ladany erhält für sich und ihre Kinder Shaul, damals noch Pavle, und zwei Schwestern sogenannte Schutzpässe, die von den Deportationen zurückstellen sollen. Gleichzeitig verhandelt der ungarisch-jüdische Journalist und Jurist Rudolf Kasztner mit den Nationalsozialisten und erwirkt gegen die Zahlung von Devisen, dass etwa 1.700 Jüdinnen und Juden mit einem Zug in die neutrale Schweiz ausreisen dürfen. Shaul und seine Eltern sind dabei – doch die SS bringt die Menschen ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Die Familie kommt im Juli 1944 dort an. Erst nach weiteren Verhandlungen Kasztners kann sie, zusammen mit den allermeisten anderen des ursprünglichen Transportes, das Konzentrationslager im Dezember 1944 in Richtung Schweiz verlassen. Nach 1945 kehren Shaul Ladany und seine Eltern nach Belgrad zurück, um ihr altes Leben wiederaufzunehmen. Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und andauernde antisemitische Anfeindungen bewirken die Entscheidung, 1948 nach Israel auszuwandern, wo die Familie eine neue Existenz aufbauen kann.

Shaul Ladany arbeitet als Ingenieur, betreibt aber gleichzeitig begeistert den Sport als „Geher“. Und hier verbindet sich seine Biografie erneut mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Folgen, insbesondere den Kontinuitätslinien des Antisemitismus: Bei der Olympiade in München 1972 entgeht er knapp dem Anschlag der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September, bei dem elf israelische Sportler als Geiseln genommen und ermordet werden. 

Privat hat er sich schon immer mit der Geschichte seiner Familie seit dem Überfall Jugoslawiens durch die Deutschen beschäftigt. Als seine Eltern ihm eine Sammlungstätigkeit als Hobby empfehlen, beginnt er als 13-Jähriger, Briefmarken und Münzen zu sammeln, richtet seine Aufmerksamkeit dann aber zunehmend auf Gegenstände und Dokumente, die in Beziehung zu Bergen-Belsen stehen. Heute umfasst Ladanys Sammlung etwa vierhundert Objekte und Dokumente mit Bezug zu Bergen-Belsen. Da Shaul Ladany immer Kontakt zur Gedenkstätte gehalten hat, konnte die Sammlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesichtet und sinnvoll in der Arbeit eingesetzt werden. 

Anhand Shaul Ladanys bemerkenswerter Biografie und seiner Sammlung lassen sich viele Sachverhalte erzählen, die nicht in ein schlichtes Schwarz-Weiß-Bild des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen passen. Seien es die komplexen Konstellationen der Kriegsparteien im Zweiten Weltkrieg, die genutzten oder ungenutzten Handlungsspielräume unterschiedlicher Protagonist_innen oder die weitreichenden ideologischen Kontinuitätslinien mit ihren Implikationen. So entsteht ein Bild, das viele Grautöne einschließt und der Vielschichtigkeit historischer Ereignisse gerechter wird. 


Über die Ausstellung „Verfolgung und Überleben im Spiegel der Sammlung von Shaul Ladany“

Die Ausstellung „Verfolgung und Überleben im Spiegel der Sammlung von Shaul Ladany“ ist vom 19.1. bis 1.3. 2023 in der Akademie des Sports in Hannover zu sehen. Der Text ist ein Auszug aus der Einleitung zum Begleitband der Ausstellung und den didaktischen Handreichungen. Sie erhalten die Publikation u. a. im Webshop der Gedenkstätte Bergen-Belsen.

Text: Elke Gryglewski, Bilder: Shaul Ladany

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