Joerma Biernath ist der einzige zertifizierte Gartendesigner der Region Hannover. Der 49-Jährige referiert an der Gartenakademie der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Oldenburg, bietet Seminare in Gartengestaltung an und gestaltet Gärten im Kundenauftrag. Wir trafen den Gartenvisionär in seinem Nordstädter Büro, das auch als Destille des von ihm produzierten „Hannover Gin“ dient.
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Mögen Sie einem Laien erklären, was einen Gartendesigner auszeichnet?
Joerma Biernath:
Ich brauche ein gutes Pflanzenwissen; das ist das A und O meines Berufes. Eigentlich ist mein Beruf dem des Innenarchitekten sehr ähnlich. Ich plane Gärten von innen nach außen. Ich sitze etwa in der Küche. Oder im Wohnzimmer. Ich blicke nach draußen und überlege, was sehe ich in diesem Garten. Welche Fluchtachse habe ich? Sind Gäste zu Hause in der Küche und wir essen, blicken wir auf eine Achse, die ich beleuchten kann. Das ist wie beim Theaterbau. Es geht um Emotionalität. Ich erzeuge eine viel größere Atmosphäre, als wenn ich nur die Grenzen beleuchte. Wir haben November, Dezember, wir haben Raureif, die Gräser wehen im Wind hin und her, es schneit, dann ist das eine Atmosphäre wie in einem Feriendorf. Diese Atmosphäre versuche ich zu erzeugen.
Wie wird man Gartendesigner?
Räume zu verändern ist etwas Angeborenes. Mein Vater war Gärtner, meine Patentante war Gärtnerin. Und ich bin gelernter Staudengärtner. Ich habe bei der Pflanze angefangen. In meiner dreijährigen Ausbildung lernte ich, Pflanzen zu vermehren, zu kultivieren. Dann bin ich in den Gartenlandschaftsbau übergewechselt. Dort habe ich meinen Meister gemacht. Anschließend bin ich nach London und legte meinen Abschluss in Gartendesign an der Kew Royal Botanic Gardens Universität ab. Das ist das respekteinflößende Schlachtschiff unter den botanischen Gärten in der Welt. Mein Lehrer war John Brookes.
Diese Ausbildung gibt es nur in England?
Richtig. Deutschland muss auch nicht alles erfinden. Der klassische Handwerkswerdegang ist: Sie lernen Gärtner und Gehilfe mit Gesellenbrief. Dann werden Sie Meister und können ausbilden. Dann können Sie auch noch Techniker werden. Wenn Sie die Offizierskarriere in der Branche einschlagen wollen, studieren Sie. Sie sind dann Landschaftsplaner oder Gartenarchitekt. Sie rufen tapfer ihr Wissen ab. Was nicht in den Büchern steht, ist Lebensrealität und der Umgang mit der Pflanze vor Ort. Da kommen dann oft sehr bizarre Ergebnisse heraus, weil Sie es nicht anders gelernt haben. Ich habe viele Freunde, die sind Gartenarchitekten und arbeiten, wie sie es aus Büchern gelernt haben.
Und was machen Sie anders?
Ich bemängele bei meinen Kollegen, dass sie nur die Pflanze sehen. Sie blenden alles andere aus. So entstehen keine schönen Gärten, die man gerne ablichtet. Ich versuche, den Garten als Ganzes zu sehen, also mit der Hardware, den Steinen, den Klinkern, dem Holz, den Jahreszeiten. Wie kann ich Stimmungen erzeugen, wie möchte ich den Garten erleben? Wenn man aber keinen Bezug zur Innenarchitektur hat, dann kippt das Bild. Habe ich eine weiche, feminine Bepflanzung, dann ist etwa eine klare männliche Architektur als Kontrast sehr schön. Die Frage ist, was soll der Garten können, damit ich meine Emotionalität ausleben und neu entdecken kann. Ich habe auch ein Faible für einzelne Blumen. Die stell ich mir irgendwo hin und find die toll wie ein Gemälde. Aber ich kriege damit keine Räume in den Griff, ich kann damit keine Stimmungen erzeugen.
Will heißen: Ihre Fähigkeiten lassen sich nicht aus Büchern speisen?
Natürlich habe ich auch viel gelesen. Wichtig für mich war es aber auch, Eindrücke zu sammeln. Ich habe in Australien und Japan gelebt und gearbeitet. Und in England und in der Schweiz als Gärtner gearbeitet. Ich möchte Sachen ausprobieren und infrage stellen. Ich mache überhaupt nicht alles richtig, ich mache auch Fehler. Als gelernter Pfadfinder verbrachte ich viel Zeit in der Natur. Ich habe wild im Wald geschlafen, du hörst die Vogelstimmen. Das hört sich vielleicht jetzt etwas komisch an, aber du hast somit einen anderen Zugang zur Natur.
Inwiefern?
Wenn dich eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern im Neubaugebiet fragt, wie komme ich mit 460 Quadratmetern Bauland, wobei das Haus so groß ist, dass nur 3 Meter Abstandsgrün darauf passen, aus? Wie können sie ihre vielen Wünsche umsetzen? Sie möchten gerne Teich, Brücke, Düne, Meer, Strand, Feuer; möglichst viel Emotionen auf kleinem Raum. Es ist meine Aufgabe, das in Ästhetik zu gießen; aber so, dass es der Garten der Menschen ist und nicht meiner.
Was passiert, wenn Sie ästhetisch nicht auf gleicher Wellenlänge sind mit Ihrem Auftraggeber?
Ich versuche meine Leitidee zu einem Objekt klar zu erklären. Etwa, warum Grün und Rot Komplementärfarben sind und diese Farben im Herbst unglaublich schön knallen. Es gibt etwa Kiefern, die haben ein böses Image. Und es gibt kleinbleibende Kiefern, die ein extrem schlechtes Image haben. Aber die brauche ich, um ein flammendes Herbstfärber-Szenario zu zeigen. Nur, wenn ich eine grüne Konstante habe, dann kann etwa der Amberbaum oder der Ahorn zeigen, was er kann; weil ich eben eine Referenzfarbe habe.
Das heißt, Sie kalkulieren die Jahreszeiten und die Wirkung einzelner Pflanzen in Ihr Gartendesign mit ein?
Gerade, wenn die Gärten kleiner werden, ist das Handwerkszeug wichtig. Je weniger Platz man hat, desto mehr müssen Gehölze, Pflanzen, Bäume können, als nur für 14 Tage herumzublühen. Die Kiefer zeigt auch Haltung. Ich mag Parviflora Glauca, ein relativ kleines Bäumchen, das unorthodox vor sich hin wächst. Es hat blau-grün schillernde Farben. Im Winter, wenn der Schnee kommt, zaubert es Strukturen, man kann etwas anbinden, es bildet einen schönen Hintergrund. Ideal für einen Kleingarten ist auch Kupferahorn. Blühen tut der nicht, aber er hat ein ganz tolle Herbstfärbung. Im Winter, wo wir ein halbes Jahr nichts haben, hat er eine fantastische Rinde, die im Gegenlicht anfängt zu leuchten. Ich finde, Rinden sind total unterschätzt.
Sie als Gartendesigner müssen all diese Aspekte und ihre Gesamtwirkung im Blick haben. Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Regeln zu brechen! Also: ganz viel Goethe und sein Farbkreis! Wenn es zu perfekt ist, wird es eintönig. Es gibt viele Gärten, da ist alles richtig gemacht, aber es fehlt die Seele. Es müssen Geschichten anerzählt sein. Licht ist ein wichtiger Faktor. Es sollte auch ein Garten sein, auf den die Kinder Lust haben. Kinder wollen nicht beobachtet werden. Sie brauchen irgendwo im Garten eine Ecke, wo sie sich verstecken können. Hängematten sind wichtig. Sie liegen mit ihrem Partner nebeneinander, gucken hoch in die Blätter, lesen ein Buch. Es geht darum, wertvolle Zeit im Garten zu erleben; bei Lagerfeuer und Stockbrot. Die besten Gespräche laufen nicht vor dem Fernseher, sondern zumeist draußen ab.
Das Haus ist gebaut. Sie bekommen den Auftrag, den Garten zu gestalten, was passiert zuerst?
Ein Vor-Ort-Termin. Ich schaue mir das Objekt an, das dauert meist eine gute Stunde. Ganz wichtig ist, erst mal zuzuhören, wie die Wünsche sind. Ich nehme die Witterung auf. Sind die Kunden sehr ordentlich? Wenn ich bei ihnen zu Hause bin, gehe ich gern erst mal aufs Gästeklo, um mal zu gucken, wie sind die eigentlich? Wie sind die eingerichtet? Was lesen die? Welche Art von Gemälden haben die? Ich möchte sie ja nicht neu erfinden. Ich will nur für ihren Garten eine Filmmusik schreiben. Es soll ein Garten werden, der nicht konstruiert wirkt, sondern der einfach da ist und passt. Der Garten ist wie eine gut sitzende Jeans – das wäre ein treffender Vergleich.
Erinnern Sie sich an einen Auftrag, der Sie besonders herausgefordert hat?
Es passiert schon mal, dass während eines Projekts noch Änderungen vom Hausherrn kommen – was vollkommen in Ordnung ist. Solange es sich in Grenzen hält. Es hört sich bizarr an: Ich gehe an jedes neue Projekt mit dem Gefühl, das könnte jetzt der beste Garten der Welt werden. Mit diesem Anspruch gehe ich jedes Mal rein. Natürlich wird das Ziel dann runtergebrochen, aber es ist stets ein schönes Gefühl. Es zeigt mir, ich liebe meine Arbeit. Ich werde das machen, bis ich sterbe. Das ist das, was mich antreibt.
Sie haben viele Länder bereist. Welche Gartenphilosophie ist Ihnen am nächsten?
Japan hat mich noch viel mehr geprägt als England. Die englische Kultur ist jetzt nicht so wesentlich anders als die deutsche. In der englischen Gartenkultur entwickeln sich die Pflanzen, jede Pflanze hat ihren individuellen Raum. In Japan werden Gärten komplett fertig gepflanzt. Der Garten ist fertig, die Pflanzen reifen, werden aber nicht größer.
Lautet so der Leitfaden Ihrer Arbeit?
Nein, nein, ich mag auch Bauhausgärten oder fahr zum Schrottplatz, um Requisiten zu suchen. Gartendesign ist wie ein guter Song. Wenn Sie Rock spielen wollen, spielen Sie Rock. Wenn Sie Jazz spielen wollen, spielen Sie Jazz. Es ist einfach ein anderer Weg. Die großen französischen Gärten etwa hatten das Eingangsportal, von dort ging eine Allee direkt zum Landhaus, scheinbar endlos immer geradeaus, um die Macht zu demonstrieren. In England gibt es auch dieses Eingangsportal, doch dann macht der Weg eine Kurve, es geht den Berg hoch. Dann gibt es einen kurzen Einblick über eine Lichtung, über das Wasser. Dann noch eine Kurve. Dann steht man am Landhaus. Es wird eine Geschichte anerzählt, das ist der große Unterschied.
Was sagt Ihnen das Stichwort Urban Gardening?
Wir haben hier in der Nordstadt einen ganz tollen vertikalen Garten gebaut. Bei vertikalen Gärten werden keine Kletterpflanzen gepflanzt, sondern lebendige Tapeten. Von unten beleuchtet sehen sie fantastisch aus. Sie erzeugen Raumtiefe und Atmosphäre. Ich liebe Gärten aus improvisatorischen Mitteln. EU-Paletten sind ja sehr beliebt, aber auch fast schon wieder out. Mit Paletten zu arbeiten ist fast wie Tapezieren mit Raufaser Erfurt 52 toll zu finden (lacht). Die Gartengestaltung ist eines der letzten Medien, in der man sich ausprobieren kann. Alles ist erlaubt. Sie können sich Ihre eigene Bühne bauen.
Mal angenommen: Die Stadt Hannover fragt an, ob Sie den Georgengarten nach Ihren Vorstellungen verändern wollen. Was würden Sie machen?
Den Georgengarten würde ich nicht anrühren. Ich habe Respekt vor gewachsenen Gärten, den würde ich so lassen. Aber ich würde mir die Eilenriede vornehmen. Es ist der größte Stadtwald Europas und gegenüber dem Central Park komplett unterbewertet. Ich würde gern die Eilenriede mehr sexy machen.
Was schwebt Ihnen konkret vor? Wie lässt sich ein Wald sexy machen?
Ganz klar, ich würde den Wald jetzt nicht abholzen und komplett neu gestalten. Aber ich würde ihn ein stückweit verändern. Denn Natur bedeutet immer Veränderung. Nehmen Sie etwa die Lüneburger Heide. Da fahren wir hin und machen auf der größten Naturkatastrophe Urlaub. Hier wurde Salzabbau betrieben, alle Wälder abgeholzt. Das ist doch bizarr, dass wir eine Natur feiern, die eine Naturkatastrophe ist. Man muss heilige Kühe anfassen dürfen, kann Teile ändern, die eine magischere Anziehung haben als etwa ein Gebüsch. Man sollte die Aufenthaltsqualität verbessern. Ich freu mich auf den Anruf der Stadt!
Gibt es Aufträge, die Sie ablehnen?
Ja. Aber es ist nicht die Aufgabenstellung, das ist eher das Spannende. Wenn ich persönlich mit dem Bauherrn nicht zu Gange komme, dann macht das keinen Sinn. Da entscheidet das Bauchgefühl. Aber grundsätzlich: Es gibt unterschiedliche Perspektiven. Jeder kann von dem anderen was lernen. Manchmal muss ich auch eingestehen, die Idee des Auftraggebers war nicht schlecht.
Auch wenn dieser sich für Waschbeton entscheidet?
Och, Waschbeton ist gar nicht so schlecht. Das ist total zeitlos, Aber man muss charakterlich gefestigt sein, um das zu verteidigen (lacht). Darüber kann man schön ins Gespräch kommen während der Gartenparty. Alle geben mit ihren schönen Natursteinfassaden an, aber ich habe Waschbeton! Wer hat das schon? Und als Raumteiler ist Waschbeton von unten beleuchtet super! Alles gut!
Es gibt in Hannover das Gartenprojekt „Offene Pforte“. Können Sie einen Garten besonders empfehlen, den man mal gesehen haben soll?
Ich schätze und schütze die Privatsphäre meiner Kunden. Das liebe ich an Gärten. Es ist unser letztes Refugium, wo wir unter uns sind, wo unsere Privatsphäre geschützt ist. Es ist der letzte, von der Sonne beschienene Rückzugsbereich.
Sie sind eher Universalist als Spezialist? Gibt es dennoch eine Pflanzengattung, die Sie besonders schätzen?
Mein Steckenpferd sind Stauden und Gehölze. Prächtige englische Staudenrabatten, Mixed Border nennt man sie, sind was Tolles. Aber ich liebe mehr das Gewachsene, dem man nicht ansieht, dass es geplant ist. Man kann auch monochrom planen. Mit einer Gräserart lassen sich riesige Flächen abdecken, das hat eine fantastische Wirkung. Wenn Sie Schwarzweiß-Bilder davon anschauen, entdecken Sie die Bewegung der Gräser im Gegenlicht. Sie können sich darin verlieren. Es geht darum, mit wenigen Mitteln zu arbeiten, die aber sinnlich sind; die Geschichten erzählen. Und nicht nur Bodendecker zu verwenden. Das Wort Bodendecker allein ist gruselig. Dagegen ist Waschbeton sexy. //
www.joerma-biernath.de
Text: Bernd Schwope
Quelle: radius/30, Ausgabe 1/2017