Volkskrankheit Rücken: Wearables am DIAKOVERE Annastift

02. September 2021 / Gesundheit

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„Isch hab’ Rücken …“ – was Hape Kerkelings Kultfigur Horst Schlämmer so wunderbar im deutschen Comedy-Vermächtnis verewigte, ist leider weiter eine schmerzhafte Last für Betroffene: Jeder Dritte leidet aktuell unter Rückenschmerzen. Fast 90 Prozent der Bevölkerung bekommen mindestens einmal in ihrem Leben Rückenschmerzen. Die Diagnose Rückenschmerz ist die häufigste Beschwerde in Deutschland. Noch schlimmer sind chronische Rückenschmerzen. Bei ca. zwei Zehntel der Betroffenen kam es in den letzten zwölf Monaten zu chronischen Rückenschmerzen, von denen waren fast 90 Prozent unspezifisch – also ohne erkennbare körperliche Ursache.

Heute entstehen chronische Rückenschmerzen weniger durch klassische Einflüsse wie Schwerarbeit, sondern eher durch unsere bewegungsarme Lebensweise. Das Muskel-System wird dabei zu wenig benutzt. Da auch psychosoziale Belastungen dazu beitragen, dass Schmerzen dauerhaft entstehen, sind die Ursachen für die Beschwerden daher in aller Regel von zahlreichen Faktoren abhängig.

Tragbare Sensoren zur Analyse von Rückenschmerzen

Welche Haltungen oder Bewegungsprofile bedingen oder verschlimmern chronische Rückenschmerzen? Kann die Therapie mit der Messung des Bewegungsprofils verbessert werden? Und gibt es besonders gefährdete Mitmenschen? Methodisch war die eindeutige Beantwortung dieser Fragen bisher kaum möglich, da Studien unter Alltagsbedingungen insbesondere mit rein körperlichen Untersuchungen oder unterschiedlichen Fragebögen durchgeführt wurden.

Eine ideale Diagnostikeinheit zur Untersuchung der Rückenproblematik sollte daher aus wissenschaftlicher Sicht eine Messung über einen längeren Zeitraum im Alltag, wie am Arbeitsplatz, über mindestens 24 Stunden ermöglichen. Das Team vom Institut für Versorgungsforschung und technische Orthopädie, AnnaTEC, im DIAKOVERE Annastift hat daher die derzeit verfügbaren Verfahren mit tragbaren Sensoren gesichtet und bewertet.

Zur Aktivitäten-Erkennung werden – wie in Smartphones oder Wearables – am häufigsten Beschleunigungssensoren, Gyroskope und Magnetometer verwendet, die auch als Inertial Measurement Unit (IMU) bezeichnet werden. Das Forschungsteam im AnnaTEC hat sich für ein KI- und sensorbasiertes mobiles Motiontracking entschieden, das aus einer Prozessor-Einheit und zwei sehr flachen Sensoren besteht, die auf Brustbein und Steißbein geklebt werden.1 „Um anhand von Sensordaten Bewegungen exakt erkennen zu können, werden die Sensoren je Patient kalibriert. Dann wird das Koordinatensystem der Sensoren mittels Algorithmus und künstlicher Intelligenz in ein körperbezogenes Koordinatensystem transformiert.“ erklärt Professor Dr. med. Bernd Brüggenjürgen, Leiter des Instituts.

Als Ergebnis werden Rückenhaltung, Bewegungsprofile und die Bewegungsdynamik berichtet. So differenziert das System in Stehen, Sitzen, Liegen und Gehen. Auch die Bewegungsausmaße werden analysiert: Streckung, Neutralstellung und unterschiedlichen Beugungskategorien, sowie die Ausprägung der jeweiligen Seitneigungen. Ein Score gibt Aufschluss über die Bewegungsdynamik.

Professor Brüggenjürgen ist mit den publizierten Pilotstudien zufrieden: „Sie zeigen eine gute Akzeptanz des Verfahrens und bestätigen die Messbarkeit des Behandlungsverlaufs bzw. -ergebnisses bei Rückenproblemen mittels Bewegungssensoren.“ Die 24-Stunden-Messung konnte beispielsweise schon erfolgreich im betrieblichen Gesundheitsmanagement des Flughafens Wien eingesetzt werden.

„Wir sind optimistisch, dass wir die noch hypothetischen Zusammenhänge zwischen den im „24-Stunden-EKG für den Rücken“ erhobenen Bewegungsprofilen und chronischen Rückenschmerzen in unseren Studien nachweisen können. Dann könnte auch ein Großteil der mehr als 1 Mio. radiologischen Untersuchungen bei unspezifischen Rückenschmerzen vermieden werden und die eingesparten Kosten in eine sinnvolle Prävention investiert werden“, so Brüggenjürgen.

Die beste Sitzposition ist immer die nächste

Vor 20 Jahren sagte man, dass gebeugtes Sitzen per se schlecht ist. Heute wird dies so nicht mehr gesehen, eher sind Abwechslung und möglichst häufige Bewegungsepisoden relevant. Daher sollte es eher heißen: Die beste Sitzposition ist immer die nächste. Alle globalen Leitlinien empfehlen heute bei chronischen lumbalen Rückenschmerzen grundsätzlich: Aktiv bleiben! Das Forschungsteam aus dem DIAKOVERE Annastift ist überzeugt, dass mit dem 24h-sensorbasierten Motiontracking eine präzisere Diagnostik und ein noch erfolgreicherer, patientenindividueller Therapieansatz möglich ist.

DIAKOVERE Annastift

Institut für Versorgungsforschung und technische Orthopädie – AnnaTEC
Leiter: Prof. Dr. med. Bernd Brüggenjürgen, MPH
Anna-von-Borries-Str. 1 – 7, 30625 Hannover

www.diakovere.de

1 Entwickler: Valentin Rosegger und Dr. Robert Pilacek, Wien

Text: Meike Knoop

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