Studierende in Wohnungsnot: In Hannover suchen Tausende eine bezahlbare Bleibe. Doch Anbieter nutzen die Wohnungsknappheit bei der WG-Suche aus. So muss sich jeder, der dringend Wohnraum sucht, vieles gefallen lassen.
Anstatt einer WG-Zusage erhielt Sara* bloß eine Einladung zu einem Date. „Nach der WG-Besichtigung bekam ich eine Absage für das Zimmer, doch für ein Treffen wäre ich genug gewesen“, erzählt die Neunzehnjährige. Ein einfacher Blick in die Nachrichtenverläufe bei der WG-Suche genügt, um Erschreckendes festzustellen.
„Ebay-Kleinanzeigen ist das neue Tinder“
„Die Täter sehen in uns keine Person, die ein Zimmer sucht. Sondern vielmehr eine Person, die man leicht nach einem Date fragen kann oder der man unangemessene Komplimente sowie zweideutige Angebote machen kann“, erzählt Lara*. Sie rät von einer Plattform besonders ab: „Vor allem Ebay-Kleinanzeigen ist das neue Tinder, hier sollte man besser nicht nach einer WG suchen. Doch wenn man jemand Neues sucht, ist hier die Erfolgsquote hoch.“ Auch Lena* war in Hannover auf WG-Suche. Sie erinnert sich noch genau an die Anmache, die sie bei einer Besichtigung über sich ergehen lassen musste. „Du bist aber sehr heiß! Wie kommt es, dass du Single bist? Da kann man sicher was dran ändern!“, zitiert sie den Anbieter, der dabei am Zwinkern war.
„Das passiert schon ganz schön häufig“
Statistiken zu dem Thema „Sexuelle Belästigung bei der WG-Suche als Frau“ gibt es nicht, daher wurde eine Befragung zu dem Thema selbst durchgeführt. Die Umfrage wurde in eine WhatsApp-Gruppe mit 54 Teilnehmerinnen veröffentlicht sowie in zwei privaten Facebook-Gruppen mit circa zehntausend und tausend Mitgliedern. Nur elf Teilnehmerinnen aus Hannover äußerten sich zu der Umfrage. Vier von den elf Frauen hatten schon Erfahrung mit sexueller Belästigung bei der WG-Suche in Hannover.
Die Paar- und Sexualtherapeutin Jutta Offers empfindet die Anzahl der Suchenden, die in dieser Hinsicht Erfahrungen gesammelt haben, als „viel“. „Denn laut der Umfrage müsste man als Frau bei nahezu jeder dritten WG-Suche, Erfahrung mit Belästigung machen. Das heißt, das passiert schon ganz schön häufig und das finde ich bitter“, sagt Offers. Dennoch wirkt das Ergebnis nicht erschreckend auf die Therapeutin. „Denn auch in den großen Umfragen, die sich mit sexueller Belästigung von Frauen beschäftigen, sind die Zahlen extrem hoch“, stellt sie fest. Als Beispiel für eine größere Studie lässt sie die vom Innenministerium Sachsen-Anhalt in Auftrag gegebene Umfrage nennen. Sie hebt hervor, dass 97 Prozent aller Frauen in Deutschland sexuelle Belästigung erlebt haben.
Bei der Befragung in Hannover kam es zu den hier dargestellten Erfahrungen mit sexueller Belästigung bei der WG-Suche:
Schutzmaßnahmen gegen anstößige Wohnungsangebote
Die Wohnungsangebote sollten genau geprüft werden, um sich selbst gegen unseriöse Wohnungsanbieter zu schützen. „Wenn das Zimmer in einem Trend-Bezirk liegt und besonders günstig erscheint, dann ist die Person meistens mehr an deinem Körper als an einem Mietvertrag interessiert“, so Sara. Plattformen, wie zum Beispiel „wg-gesucht“, raten ihren Mitgliedern, in ihrer WG-Bewerbung möglichst viel über sich preiszugeben. So erhöhe sich die Chance, zu einem persönlichen Kennenlernen eingeladen zu werden.
Doch die Rechtsanwältin Fahlenbock ist der Meinung, dass eine zu freundliche und offene Art vermieden werden soll, denn das gibt den Tätern Interpretationsspielräume. So sei es besser, wenn die suchende Person bei einem Erstkontakt nur für die Wohnungsvermietung relevante und seriöse Informationen von sich preisgibt. Ebenso besitzen Bilder eine persönliche Anziehungskraft auf die Täter, erklärt die Rechtsanwältin. Um bei der Wohnungsbesichtigung nicht wie Lara mit unmoralischen Angeboten konfrontiert zu werden, sollte man nicht allein zu einer Wohnungsbesichtigung gehen.
„Unseriösen Anbietern das Handwerk legen“
Falls ein unseriöser Wohnungsanbieter trotz Schutzmaßnahmen auf dich getroffen ist, dann solltest du diesen Anbieter melden oder eine Anzeige erstatten, empfiehlt Annegret Mülbaier von wg-gesucht. „Nur so ist es auf lange Sicht möglich, unseriösen Vermietern das Handwerk zu legen. Wenn die angespannte Wohnsituation ausgenutzt wird, weil die oder der Suchende von Wohnungslosigkeit bedroht ist, handelt es sich um eine Straftat. Dann kümmern sich nicht nur Portale um solche Angebote, sondern auch der Staatsanwalt“, so Mülbaier. Außerdem erklärt sie: „Wenn anzügliche Nachrichten über WhatsApp empfangen werden, sollte die Kommunikation per Screenshot gesichert, die Nummer blockiert und der Kontakt der Plattform gemeldet werden.“
Mülbaier zufolge sind WG-Suchende auf Plattformen, die explizit für die WG-Suche ausgerichtet sind, am sichersten. Zum Beispiel können bei wg-Suche oder wg-gesucht die Suchenden unseriöse Nutzer melden und das Team kümmert sich um die Löschung, heißt es auf deren Webseiten. „Bei wg-gesucht kam ich kaum in Kontakt mit unseriösen Nutzern, doch auf Ebay-Kleinanzeigen wimmelte es nur davon“, berichtet Sara. Auch Annegret Mülbaier schätzt die anzüglichen Angebote auf wg-gesucht gering ein: „Auf wg-gesucht werden pro Monat bis zu 240.000 Anzeigen inseriert. In den vergangenen 30 Tagen mussten wir sieben solcher Anzeigen löschen.“
Falls es erst bei einer Besichtigung zu sexuellen Belästigungen kommt, befürwortet Jutta Offers ein selbstbewusstes Verhalten. „Die WG-Suchende sollte deutlich machen, dass das Verhalten unangemessen ist, indem sie den Täter kommunikativ darauf aufmerksam macht. Danach sollte sie am besten einfach gehen. Schließlich hat sich der WG-Anbieter mit dem Verhalten disqualifiziert“, äußert Offers. Die Therapeutin findet es wichtig, dass die Frauen Mut haben, aus ihrer Opferrolle zu gehen, um ihre Grenzen zu verdeutlichen. „Ebenfalls kann die geschädigte Person den Vermieter kontaktieren und das unangemessene Verhalten melden“, erklärt sie. Letztendlich möchte Jutta Offers noch jeder Frau mitgeben, „sachlich, bestimmt und selbstbewusst zu sein“. Sie wünscht den Frauen mehr Gelassenheit und Mut, um einfach zu sagen, „das ist unangemessen, lass das.“
*Die Namen wurden auf Grund der Anonymität geändert, sind aber der Redaktion bekannt.
Autorin: Ina Krüer