„Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Massenindustrie“

28. August 2025 / Wirtschaft

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Text und Bild: Sonja Steiner

Zwei neue Läden bieten mehr als 50 kleinen Labels eine Plattform. Gegen den Trend der Ladenschließungen haben in der List und in der Oststadt mit den Concept Stores maesh & friends und Oststadt19 zwei Läden aufgemacht, die lokale und regionale Marken führen. Sie haben ein ähnliches Konzept und sehen sich dabei – nicht zuletzt durch ihre jahrelange Kooperation – überhaupt nicht als Konkurrenten. Woher sie den Mut nehmen, in wirtschaftlich unsicheren Zeiten einen eigenen Laden aufzumachen, was sie anbieten und was ihre Visionen sind: Antworten dazu geben Isabel Winarsch vom Label maesh sowie Robert Wiegmann und Katrin Kiehne-Lemnitz (Label Roderbruch).

„Schmuck geht am meisten, Karten auch. Ich finde, wir haben eine schöne Lösung gefunden aus regionalen Produkten, die du unterstützen willst, die du aber auch brauchst – als Geschenkidee oder wenn Du Dir selbst etwas Gutes tun willst“, erzählt Isabel Winarsch. Das Angebot in dem neuen Concept-Store in der Lister Meile wirkt tatsächlich auf den ersten Blick überwältigend. In dem hellen großen Raum befand sich vorher ein Schuhgeschäft, seit dem ersten April werden hier Produkte von über 50 Labels verkauft, die zum Großteil aus Hannover kommen. „Wir waren hier im Dezember mit einem Pop-up-Store, der sehr gut lief. Ich habe damals sehr viel auf meinen Bauch gehört und mich entschlossen, einen Store dauerhaft zu betreiben. Dabei haben wir das meiste bei der Grundsanierung selbst gemacht und auch die Möbel habe ich ausschließlich secondhand gekauft.“ Ein großes Geschenk seien neben der Mitarbeit aller Labels bei dem Umbau auch die Vermieter gewesen. „Der Mietvertrag ermöglicht es mir, vorerst bis Ende des Jahres jederzeit auszusteigen, falls es nicht laufen sollte“, berichtet Winarsch, die mit der Geschäftsführung auch die alleinige Verantwortung des neuen Ladens übernommen hat. Der erste Monat sei schon sehr ermutigend gewesen. „Wir werden mit Komplimenten überhäuft, der Start war gigantisch!“

Das vielfältige Sortiment umfasst unter anderem Taschen, Kleidung, Duftkerzen, Grafiken, Keramik, Schmuck und Karten, das Klientel ist oft weiblich – so wie die Labels selbst. „Es sind zu 80 Prozent Frauen, die hier ihre Sachen verkaufen, auch das finde ich toll, weil es wichtig ist, Frauen zu empowern“, betont Isabel Winarsch, die selbst seit 2021 mit ihrem Label „maesh“ nachhaltige Taschen aus Planen anbietet.

Neben dem reinen Verkauf will der Concept-Store auch zum Mitmachen und Selbermachen anregen. Dabei ist es der studierten Fotografin ein besonderes Anliegen, Kreativität zu fördern. „Jeder kann kreativ sein. Und da wollen wir etwas anbieten, gerade für Kids. Zum Beispiel bei Kindergeburtstagen Workshops veranstalten. Ein Gedanke ist: bringt euren Müll mit und wir machen daraus etwas. Ob es jetzt Collagen sind oder man Plastikmüll zusammenpresst und daraus kleine Taschen und Etuis macht.“ Sie hoffe, dass das auch noch einmal mehr die Menschen davon überzeugt, wie wichtig es ist, so einen Laden zu haben. Für die Workshops und weitere Veranstaltungen der Label wurde in gemeinschaftlicher Arbeit der hintere Raum umgestaltet. „Und plötzlich kam uns eine Wand förmlich entgegen und wir stellten fest, dass sie noch aus der Nachkriegszeit stammte, die Steine lose aufeinander lagen. Da war Eile geboten. Zum Glück hatte ich auch hier – wie bei der gesamten Einrichtung – ganz tolle Hilfe aus meinem Netzwerk“, erinnert sich die Geschäftsführerin des Concept-Store.

Die Entscheidung für den Laden sei natürlich ein Risiko gewesen, weil viele kleine Geschäfte schließen. „Wenn man das so liest und hört, kann man auch mal kurz Schnappatmung bekommen, aber ich sehe darin auch eine große Chance – es kommt eben darauf an, was und in welcher Art man verkauft.“ Deshalb sei es wichtig zu zeigen, dass es auch für kleine Läden möglich ist, zu existieren, wenn man eine andere Art von Verkauf anbietet. „Bei uns geht es auch darum, über Storytelling zu erklären, dass man gutes Handwerk anbietet, Slow Fashion, Selbstgemachtes, ein Zeichen setzt gegen die Massenindustrie. Und den Leuten die Möglichkeit gibt, selbst aktiv zu sein.“

Mut zur Vision – Das Label Roderbruch eröffnet „Oststadt19“

In dem Ladenlokal in der Kleinen Pfahlstraße fällt der Blick als erstes auf einen Tresen, hinter dem eine Maschine steht, die an ein Karussell erinnert. „Ja, das stimmt, es ist ein Siebdruck-Karussell“, bestätigt Robert Wiegmann. Der hochgewachsene Mann deutet auf den Bereich hinter der Theke. „Hier möchte ich Workshops anbieten“. Zusammen mit Katrin Kiehne-Lemnitz betreibt er die Marke „Roderbruch“ und hat er sich nach zehnjähriger Zusammenarbeit auf Märkten den ehemaligen Antik-Laden gemietet, um dort künftig seine mit Hannover-Motiven bedruckten T-Shirts, Hoodies und Mützen sowie Produkte anderer kleiner lokaler Labels anzubieten. Mit dabei sind die Marken OhMyGoddess, Vrida, Ohaaa Studio, Little A Unikate, Neutroise und Dörpwicht aus Hannover und Astrid Jansen aus Hildesheim.

„Ich mache das, weil ich Spaß daran habe“, erzählt Robert Wiegmann bei einer Tasse Cappuccino. „Im Hauptberuf bin ich Erzieher und habe lange an der IGS Roderbruch gearbeitet. Dort habe ich Katrins zwei Kinder betreut, so haben wir uns kennengelernt“, berichtet er. Warum er sein Label nach dem Stadtteil benannte, läge daran, „weil sich die Herzlichkeit und die Vielfalt des Stadtteils Roderbruch in den Motiven weiterentwickeln soll.“ Einen Laden nebenberuflich zu betreiben, das hatten weder er noch seine Geschäftspartnerin ursprünglich als Ziel. „Bis ich davon hörte, dass der Laden hier frei wird. Ich fand die Idee toll, war aber anfangs auch sehr skeptisch. Ich bin nachts um drei Uhr aufgewacht und habe mich gefragt, warum sollte ich das machen?“, schildert Robert Wiegmann seine Bedenken. Die sich aber zerstreuten, als er näher darüber nachdachte, was alles mit einem eigenen Laden möglich wäre. „Ich habe Läden in Amsterdam oder in Berlin kennengelernt, die vieles anbieten – das schwebt mir hier auch vor. Das können Lesungen, kleine Konzerte sein oder die Leute kommen einfach vorbei auf einen Kaffee oder einen Wein. Ich mag Menschen und unterhalte mich gern mit ihnen.“

Katrin Kiehne-Lemnitz kommt aus dem Lagerraum im hinteren Bereich des Ladens, in dem sie gerade die letzten Kartons mit Ware in den hohen Regalen gestapelt hat, und setzt sich mit an die Theke. Die studierte Diplom-Designerin hat neben dem grafischen Bereich in dem Zweier-Unternehmen die Buchhaltung und die administrativen Aufgaben übernommen. Nach ihren Ideen zu dem neuen Geschäft gefragt, erzählt sie: „Ich habe auch erst gedacht, ein Laden, nee, lass uns mal so weitermachen wie bisher. Aber dann habe ich diese Perle hier gesehen und habe mir gesagt: hier kann man etwas draus machen. Allerdings brauchte man viel Vorstellungskraft, denn es war alles dunkel und abgerockt. Die Vorstellungskraft haben wir zum Glück beide!“ Sie sei nicht so glücklich mit der Werkstattsituation in der Kronenstraße gewesen, in der die beiden bislang arbeiteten – es war ihr zu klein und zu eng. „Mir geht es darum, dass wir hier auch Veranstaltungen und Märkte machen können, auch hier im Außenbereich“, meint sie und weist durch das große bodennahe Fenster auf die kleine Fläche vor dem Laden, dem sie den schlichten Namen „Oststadt19“ gegeben haben.

Am Ende sei sie es gewesen, die sowohl sich selbst als auch Robert Wiegmann davon überzeugt habe, dass sie es zusammen schaffen können. „Und jetzt sind wir beide so richtig dabei!“ Katrin Kiehne-Lemnitz bringt dabei die Erfahrung und den Blick aus zwanzig Jahren Arbeit bei einer Agentur als Modedesignerin mit. Was sie sich für die Zukunft für den Laden wünscht? „Auf alle Fälle Verkaufsveranstaltungen, auch natürlich Druck-Seminare und vielleicht Geburtstagsveranstaltungen. Da hier auch Waren sind, soll es klein und fein sein. Ansonsten bin ich sehr spontan – ich lass es auch ein bisschen auf mich zukommen.“ Und Robert Wiegmann ergänzt: „Hier möchte ich die Tür aufschließen und mich wohlfühlen!“

www.maesh.de
www.instagram.com/o19_conceptstore

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