Wohnen im Alter – gemeinsam statt einsam

01. Dezember 2023 / Bauen und Wohnen

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Bild: Sam Williams, Pixabay

Die Frage der Lebensqualität ist gerade für ältere Menschen eng mit der Frage nach dem Wohnen im Alter verbunden, denn Wohnungen und Wohnumfeld werden für Ältere immer umfassender zum Mittelpunkt des Lebens.

Margret Lemper ist zufrieden: Die Diplom-Sozialpädagogin ging 2016 in Rente und wollte umziehen – zwei deutliche Einschnitte: „Bei meiner Arbeit hatte ich immer viel Kontakt zu Familien und Kindern. Aber bis zu meiner Vorstellung beim Projekt Gemeinsam statt einsam hatte ich nur wenig mit älteren Menschen zu tun. Meine große Überlegung war deshalb: Möchte ich überhaupt in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt mit älteren Menschen ziehen? Dann haben sich aber alle Bewohner im Projekt für mich entschieden und das hat mich dann bestärkt: Ich habe zugesagt und bin in eine Zwei-Zimmer-Wohnung gezogen. Eineinhalb Jahre später war ich im Vorstand und engagiere mich seit einigen Jahren aktiv im Projekt. Es war eine gute Entscheidung.“

Die für sich passende Wohnform im Alter finden – keine einfache Aufgabe. Die Möglichkeiten sind zahlreich: Von Pflegeheimen, Seniorenresidenzen oder betreutem Wohnen über das Wohnen im eigenen Zuhause – vielleicht mit Unterstützung von Angehörigen, Pflegedienst oder 24-Stunden-Pflege – es kursieren zahlreiche Begriffe für unterschiedliche Modelle, die alle nicht einheitlich definiert oder geschützt sind. Zusätzlich zu diesen „klassischen Möglichkeiten“ entstehen immer mehr alternative Wohnformen für Senioren wie Seniorenhäuser, Senioren-WGs, Mehrgenerationenhäuser oder Wohnen gegen Hilfe. Meist ist die Entscheidung für oder gegen eine Wohnform eng mit der eigenen Gesundheit verbunden. Wird Pflege benötigt? Kann der Alltag unabhängig bewältigt werden? „Wir haben uns hier vorgenommen, dass wir uns gegenseitig helfen und unterstützen, so viel wir können, aber wir übernehmen keine Pflege“, erzählt Margret Lemper. „In den letzten Jahren machte ich verschiedene Seminare, um mich weiterzubilden wie beispielsweise ein VHS-Seminar zum Thema Alzheimer. Lange habe ich eine ältere Frau hier im Projekt betreut, bis sie ins Pflegeheim musste. Als ich kam, lebten hier sehr viele ältere Menschen. Manche sind leider verstorben, andere mussten ins Pflegeheim. So hat sich das Projekt seit der Gründung im Jahr 2001 etwas verjüngt: Die jüngsten sind 65, unser ältester Bewohner ist 96.“

Bereits 1996 hatte eine kleine Gruppe – überwiegend alleinstehende Frauen – die Idee des Zusammenlebens. Sich im Krankheitsfall, bei zunehmenden Alterserscheinungen und darüber hinaus gegenseitig beistehen – dieser Grundgedanke für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt war zu dieser Zeit in Hannover noch neu. Fünf Jahre vergingen, dann konnten die Gründungsmitglieder einziehen: in ein Mietshaus auf dem Kronsberg mit 3 1⁄2 Geschossen, zwei Eingängen und 16 Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen mit Balkon oder Terrasse. Die Gruppe gründete einen Verein und legte Grundsätze für das Zusammenleben fest: „Unser Ziel ist es, durch das Leben im Wohnprojekt unsere Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Individualität sowie nach Sicherheit, Geborgenheit, Anregung und Geselligkeit zu befriedigen. Wir wollen unsere Gemeinschaft leben und aktiv gestalten. Hier übernehmen wir Verantwortung und gegenseitige Verpflichtungen.“

Lange führten Wohnformen wie Senioren-WGs oder gemeinschaftliches Wohnen im Alter ein Nischendasein. 2012 ermittelte das Kuratorium Deutsche Altershilfe, dass nur rund ein Prozent der ab 65-Jährigen in Haus- oder Wohngemeinschaften lebten. Aktuelle Zahlen gibt es nicht, aber das Interesse steigt. Laut einer repräsentativen Studie der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGE) aus dem Jahre 2015 können sich 33 Prozent der Befragten vorstellen, ihren Lebensabend in einer Senioren-WG zu verbringen. Eine Wohngemeinschaft für Senioren, in der alle gemeinsam in einer Wohnung leben, ist aber eher selten – häufiger finden sich Hausgemeinschaften. In Hannover gibt es inzwischen zahlreiche unterschiedliche Projekte. Interessierte und Anbieter bringt das Forum Gemeinschaftliches Wohnen e. V. mit seiner Geschäftsstelle in Hannover zusammen. Der Verein will die Menschen erreichen, die nach neuen Lebensformen suchen, Kommunen überzeugen und Investoren gewinnen. In der Regionalstelle in Hannover begleiten und beraten die „Wohnprojektmentoren“ Projektgruppen in der Startphase in allen angestrebten Gemeinschaftsformen, auch Wohnprojekte im Alter. Vorhandenes Wissen und neue Erkenntnisse im Themenfeld gemeinschaftlich Wohnen werden hier für Hannover an einem Ort zusammengetragen. Bei Allem steht der Begriff „Wohnprojekte“ im Vordergrund und ergänzt den Begriff „Baugruppen“ durch Mietgemeinschaften, Genossenschaften und andere Formen von Zusammenleben.

Gemeinschaftliches wohnen bringt viele Vorteile

Eine gemeinschaftliche Wohnform bringt für Seniorinnen und Senioren viele Vorteile. An erster Stelle stehen die sozialen Kontakte und die Möglichkeit der täglichen Interaktion. „Wir machen hier viel zusammen und haben Interesse an Menschen, die sich einbringen wollen. Wir sind musikinteressiert, gehen gemeinsam zu Konzerten, einige musizieren zusammen, wir fahren Fahrrad, tanzen in einer internationalen Tanzgruppe oder betätigen uns ehrenamtlich im Stadtteil bei Hausaufgabenhilfe, im Second-Hand-Laden oder bei der Betreuung von Familien. Wir spielen zusammen Gesellschaftsspiele. Und wir leben gerne am Stadtrand. Wir sind sofort im Grünen, können hier Äpfel ernten und gemeinsam einkochen. Gleichzeitig sind wir schnell in der Stadt, wenn wir wollen. Alle zwei Wochen haben wir Sitzungen, die für alle verpflichtend sind. Absprachen treffen wir über eine WhatsApp-Gruppe. Wer diese nicht nutzen kann, wird persönlich oder per Telefon informiert“, erklärt Lemper. Oft wirken gemeinschaftliche Wohnprojekte in die Nachbarschaft hinein wie das ehrenamtliche Engagement im Stadtteil – ein echter Mehrwert für das gesamte Quartier. Auch gesundheitlich kann sich das Zusammenwohnen 
auszahlen. Studien belegen, dass soziale Kontakte und gemeinsame Unternehmungen Gesundheit und Wohlbefinden im Alter fördern können. Aber natürlich müssen Bewohnerinnen und Bewohner offen sein und Verständnis füreinander aufbringen – gemeinschaftlich wohnen ist nicht immer konfliktfrei.

Im Projekt Gemeinsam statt einsam gibt es deshalb klare Regeln für eine Aufnahme: „Wir sind 14 Personen, im Moment ist kein Platz frei“, erläutert Margret Lemper. „Allerdings vergeben wir auch nicht spontan Plätze, sondern wollen Interessenten gerne vorab kennenlernen – nicht erst, wenn eine Wohnung frei wird. Deshalb haben wir Treffen für Interessierte ins Leben gerufen. Dazu findet vorab ein Telefonat statt. Wenn dasjenige dann weiterhin interessiert ist, darf er oder sie bei Treffen teilnehmen beispielsweise beim Literaturfrühstück oder zu Musik-Veranstaltungen. Ob jemand letztlich einziehen darf, ist immer die Entscheidung von uns allen gemeinsam. Es gibt drei Personen, die sich um die Interessenten kümmern, und sie müssen den anderen begründen, weshalb jemand als Gast aufgenommen wird.“ Auf die Nachfrage, was passiere, wenn ein Veto komme, lacht Margret Lemper: „Das ist bei uns tatsächlich noch nicht vorgekommen. Wenn es zu einer Abstimmung kam, waren alle überzeugt. Wir haben aber durchaus schon Interessenten abgesagt, wenn wir das Gefühl hatten, dass es nicht passt. Aber dieses Gefühl kommt dann meist von mehreren oder von allen.“ Ein weiterer Vorteil des gemeinschaftlichen Wohnens ist die Kostenersparnis: Zusammenleben kann Ressourcen sparen, weil die Wohnungen – zugunsten von Gemeinschaftsräumen – meist kleiner geschnitten sind und sich die Bewohnerinnen und Bewohner Alltagsgeräte wie ein Auto teilen können.

Verein, Genossenschaft … Rechtsform finden

Die fünf Jahre Vorlauf von der Idee bis zur Umsetzung im Projekt Gemeinsam statt Einsam sind kein Einzelfall. Bis Gleichgesinnte gefunden, Vorstellungen abgeglichen und gemeinsame Ziele festgelegt werden, kann einige Zeit vergehen. Schließlich braucht es neben der geeigneten Immobilie auch die passende Rechtsform. Eigentümergemeinschaft, Genossenschaft, Verein – es gibt zahlreiche unterschiedliche Varianten und Interessierte sollten sich eingehend beraten lassen, um das Zusammenleben auf ein tragbares Fundament zu stellen. Genossenschaften haben den Vorteil, dass sie es erlauben, Menschen mit unterschiedlichem Budget zusammenzubringen. Zusätzlich können sie öffentliche Fördermittel einwerben. Das Projekt Gemeinsam statt einsam entschied sich für einen Verein: „Den Verein haben wir neu strukturiert“, erzählt Margret Lemper. „Früher gab es einen Vorsitzenden, der sich um alles kümmern musste. Inzwischen haben wir den Vorsitz, Stellvertreter und Schriftführer auf drei Personen aufgeteilt. Wir haben eine Gemeinschaftswohnung, die über den Verein finanziert wird, mit Gruppenraum und Küchenzeile, in dem alle Bewohnerinnen und Bewohner Platz haben und sich treffen können. Außerdem ist ein Schlafzimmer vorhanden, das wir Bewohner mieten können, wenn wir Besuch bekommen und in unseren Wohnungen zu wenig Platz ist. Auch Messegäste bringen wir dort unter und können so die Vereinskasse etwas auffüllen.“

Herausforderung Finanzierung

Die finanzielle Seite ist oft das größte Hindernis auf dem Weg zum gemeinsamen Wohnglück. Nicht nur Bauen ist teuer – auch die Preise für Immobilien und Grundstücke sind in den vergangenen Jahren explodiert. Im April dieses Jahres schlug das Pestel-Institut aus Hannover Alarm: Deutschland rase mit 100 Sachen in die „Graue Wohnungsnot“ der Baby-Boomer. Es fehlten aktuell bundesweit 2,2 Millionen Seniorenwohnungen. Das Pestel-Institut stellt in seiner Untersuchung, die es im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) gemacht hat, fest: Über 21 Millionen Menschen werden in zwanzig Jahren zur Altersgruppe „67plus“ gehören – rund 3,6 Millionen mehr als heute. „Deutschland wird sich dann grob in ‚junge Städte‘ und ‚altes Land‘ aufteilen. Es wird Regionen geben, in denen 2050 über 40 Prozent der Bevölkerung Senioren sein werden“, so Matthias Günther, Leiter des Insituts. Er spricht von einem „Zwei-Komponenten-Problem beim Seniorenwohnen“: ein Mangel an altersgerechten Wohnungen und Altersarmut durchs Wohnen. Aktuelle Entwicklungen im Wohnsektor ließen zu wünschen übrig. Es fehle an deutlichen Fortschritten im Bereich des Wohnungsbaus. Die Beseitigung von Hindernissen für Verbesserungen im bestehenden Bauwesen sei nicht absehbar, und die Unterstützung für sozialen Wohnungsbau bleibe unzureichend. „Besorgniserregend ist die mögliche Abnahme im Wohnungsbau aufgrund steigender Baukosten und Zinsen, was ernste Folgen für langfristige Kapazitäten haben könnte. Unabhängig von politischen Standpunkten ist die alternde Bevölkerung auf dem Vormarsch, und das Land wird ohne Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung nicht umhin kommen, eine beträchtliche Zuwanderung zu bewältigen“, heißt es in der Studie.

Die Politik ist gefragt

Als „Armutsrisiko Nummer 1“ nennt die Studie die Pflegebedürftigkeit im Alter. Im Schnitt koste die stationäre Pflege heute rund 2.410 Euro pro Monat, die ein älterer Mensch selbst beisteuern müsse. „Mehr als die Hälfte der Seniorenhaushalte hat allerdings weniger als 2.000 Euro netto im Monat zur Verfügung. Am Ende ist es also ganz oft der Staat, der einspringen muss. Er sollte schon deshalb ein Interesse daran haben, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich zu Hause leben können. Das wiederum setzt deutlich mehr altersgerechte Wohnungen voraus. Doch ein ‚Alterswohnprogramm für die Baby-Boomer‘ ist politisch weit und breit nicht in Sicht“, sagt Pestel-Studienleiter Matthias Günther. Im Gegenteil: Der Bund bremse den altersgerechten Umbau von Wohnungen geradezu aus. So biete die staatliche KfW-Bank – anders als früher – dafür heute keine Zuschüsse mehr. Stattdessen gebe es ein Kreditprogramm mit Zinsen ab 3 Prozent und Laufzeiten von bis zu 30 Jahren. „Das ist eine Farce: Welcher 70-Jährige bindet sich noch so einen Kredit ans Bein, um sein eigenes Haus oder seine Eigentumswohnung altersgerecht umzubauen? Aber gerade um diese Menschen geht es: Immerhin leben 54 Prozent der Älteren in den eigenen vier Wänden – im Wohneigentum“, sagt Matthias Günther. Er empfiehlt dem Bund ein „Durchforsten der KfW-Förderung“ und die Einführung eines Programms für das altersgerechte Wohnen mit finanziellen Zuschüssen fürs selbstgenutzte Wohneigentum.

Darüber hinaus müsse es auch Förderprogramme für die Aufteilung von Ein- und Zweifamilienhäusern geben: „Überall dort, wo genug Platz ist, neue seniorengerechte Wohnungen zusätzlich zu schaffen, sollte der Staat mit einer Förderung ansetzen. Es geht darum, beispielsweise in einem klassischen Einfamilienhaus zwei Wohnungen unterzubringen, mindestens eine davon seniorengerecht. Um mehr Wohnungen in Altbauten zu schaffen, muss es einen attraktiven Anreiz geben“, empfiehlt Matthias Günter. Grundsätzlich gelte: Ohne eine zusätzliche staatliche Förderung seien neue seniorengerechte Wohnungen für die Mehrheit der Älteren nicht finanzierbar – weder für die, die im Eigentum wohnen, noch für die, die zur Miete wohnen.

Text: Susanne Bührer

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