Onlinekurse scheinen in dieser Zeit allgegenwärtig. Sie sind auch dringend notwendig, um Kontakte zu pflegen oder um Sport zu treiben. Sogar Eiskunstlaufen geht online. Ich habe es ausprobiert.
Von Lilofee Fettich
Nicht verzagen, Fortschritt wagen
Der 16. März 2020 bedeutete praktisch die Auflösung des öffentlichen Lebens, so wie wir es bisher kannten. Doch wo noch einige entgeistert die Geschehnisse verfolgen, saß Aljona Bodarenko von der Eiskunstlauf Akademie Rheine e. V. schon an einem Plan für ein Ausweichtraining: „Ich habe in Österreich als Skilehrerin gearbeitet, als der Lockdown kam. Das war ein paar Tage früher als in Deutschland. Als hier noch das Training auf dem Eis stattgefunden hat, war ich schon in häuslicher Quarantäne und überlegte, wie man nun weitermacht. Mir war klar, dass auch in Deutschland in wenigen Tagen alles schließen wird.“ Dank dieser Überlegung wurde das erste Probetraining nur drei Tage nach der vorübergehenden Schließung der Eishalle durchgeführt. Mit großem Anklang. Von nun an werden die Vereinsmitglieder täglich eine Stunde trainiert. Aber wie genau geht denn Eislaufen von zu Hause aus? Ich kann es mir nicht vorstellen. Die Sache macht mich allerdings neugierig. Ich entscheide mich für ein Probetraining.
Zoom klingt entspannter als Schlittschuh
Um zwei Sachen direkt am Anfang klarzustellen: Ich bin weder besonders sportlich noch kann ich Schlittschuh laufen. Eine Probestunde im Eiskunstlauf hätte mich also eigentlich nicht besonders angesprochen. Doch dank geschlossener Eishalle stolpere ich zum Glück nicht auf wackligen Beinen auf dem glatten Eis herum. Nein, im Gegenteil. Ich stehe vor dem Laptop und öffne entspannt die E-Mail mit einem Zoom-Link. Das wird einfach, denke ich mir. Immerhin werden hier Kinder und Erwachsene zusammen trainiert.
Die Sportstars und ich
Um kurz vor drei wird der „Meetingraum“ auf Zoom zur Sporthalle. Nach und nach trudeln die sehr jungen und ausschließlich weiblichen Mitglieder ein. Sie zupfen die Kamera zurecht oder begrüßen ihre Freundinnen. Aljona, die die Stunde heute leiten wird, ist noch nicht zu sehen. Kurz nach drei schaltet sie sich dazu und das Tuscheln der Mädchen hört auf. Wir werden nett begrüßt. Dann wird uns empfohlen, eine Matte oder eine Decke auf dem Boden auszubreiten. Ich stutze kurz. Ich hatte zwar keine Erwartungen an die Stunde, bin jedoch davon ausgegangen, dass die Stunde im Stehen stattfinden wird. Die Decke ist dann aber doch schnell gefunden und die Stunde geht richtig los. Alle treten ein paar Schritte von der Kamera weg. Denn ein wenig Platz für das Training braucht man schon. Wir starten mit ein paar Tanzschritten aus dem Modern Dance. Ich finde, das passt. Beim Eiskunstlaufen absolvieren die Läufer ja auch Choreografien. Immer wieder gehen wir die einzelnen Stepps durch, bis sie sitzen. Bei den meisten zumindest. Na ja, wohl bei allen außer mir. Die kleinen „Eisprinzessinnen“, wie ich die Mädchen vor der Stunde spöttisch genannt habe, sind koordinierter, als ich es für möglich hielt.
Auch ohne Eis läuft’s
Das kommt vermutlich von ihrem gewohnten Training. Denn anders als ich dachte, üben Eiskunstläufer nicht nur auf dem Eis. Auch vor der Corona-Pandemie findet nämlich nicht das gesamte Training auf Schlittschuhen statt. Die Läufer absolvieren zusätzlich ein sogenanntes Trockentraining. Sie springen zum Beispiel Seil, um ihre Kondition und Koordination zu stärken. Außerdem benutzen sie einen Rotator, eine elektrisch betriebene Drehscheibe, um ihren Gleichgewichtssinn für Pirouetten und Sprünge zu trainieren.
Deswegen ist es gar nicht schlecht, dass ich ein „Trockenstunde“ mitmache. „Wer auf dem Trockenen keine Sprünge kann, der schafft es auf dem Eis erst recht nicht“, klärt Aljona mich auf. Und je länger ich versuche, beim Modern Dance schrittzuhalten, desto klarer wird mir die Bedeutung ihrer Worte. Schon ein Sprung um die eigene Achse bereitet mir Schwierigkeiten. Gar nicht auszudenken, wenn ich neben dem Problem mit meinem Gleichgewicht noch auf den Boden unter mir achten müsste.
Die Schritte der Tanz-Choreografie werden im Laufe der Stunde immer anspruchsvoller. Bodenübungen wechseln sich schneller und schneller mit Sprüngen und eiligen Zwischenbewegungen ab. Ganz schön anstrengend. Die Trainingsstunden auf Zoom finden sechsmal in der Woche statt, wer da jeden Tag mitmacht, bleibt fit. Die sechs Stunden Training in der Woche sind im Übrigen ein kleiner Corona-Bonus.
Die Chancen hinter Corona
Normalerweise trainieren die meisten Vereinsmitglieder zwei- bis dreimal die Woche auf dem Eis. Trotzdem sind die Zoom-Meetings gut besucht. Und nicht nur für alteingesessene Vereinsmitglieder hat das Training etwas Positives. Ich selber wohne in Hannover, normalerweise wäre es für mich also fast unmöglich, das Training mitzumachen. „Wir haben auch Leute, die aus Hamburg, Bremen und aus ganz Niedersachsen immer zu unseren Trainingscamps fahren und enttäuscht waren, dass sie sonst nicht mittrainieren konnten. Die haben durch das Online-Training jetzt eine Möglichkeit“, erklärt Aljona.
Vor der Stunde war ich mir sicher, dass der Verlust des Eises dem Sport nur Schaden konnte. Jetzt aber weiß ich, dass genau dort die Stärke des Eiskunstlaufens liegt. Durch die erzwungene Sommerpause kennen sich die meisten Vereine mit einer „Eis-Pause“ aus. Sie wissen, wie man alternativ trainiert. Aljona Bodarenko ist sich sicher: Bald werden auch die Wettkämpfer der Akademie wieder antreten können. Denn ein weiterer Vorteil des Eiskunstlaufens ist der, dass der Sport kontaktlos ist. Bei einer Einzelkür könnten die Läufer ihr Können unter Beweis stellen.
Wettkämpfe sind jetzt allerdings nicht Teil meiner Gedankenwelt. Aljona trägt uns auf, die letzten Minuten noch durchzuhalten. Es folgt eine schwindelerregend hohe Anzahl an Sit-ups. Ich beobachte beim Hochkommen die Mädchen auf dem Bildschirm. Sie sind noch hoch motiviert dabei.
Zu guter Letzt ein bisschen Alltag
Ich mobilisiere noch einmal meine letzten Kraftreserven. Dann ist die Stunde vorüber. Aljona verabschiedet sich und packt ihre Sachen zusammen. Heilfroh über die Erlösung will ich am liebsten direkt in die Dusche springen. Doch ich bemerke, dass sich niemand aus dem Zoom-Meetingraum verabschiedet. Im Gegenteil, gut gelaunt kommen die Mädchen näher an die Kamera heran und fangen an, sich zu unterhalten. Eine Szene, die stark an die Umkleidekabine nach dem Sportunterricht erinnert. Die Stimmung ist gelöst und vollkommen normal. Mir wird ganz warm ums Herz. Es ist schön, ein bisschen Alltag zu erleben.
Erstlingswerk
Dieser Beitrag ist Bestandteil der Kooperation von radius/30 mit dem 2. Semester des Journalismus-Studiengangs der Hochschule Hannover unter Leitung von Prof. Stefan Heijnk, der freien Journalistin Sonja Steiner, Programmierer René Aye von Pyropixel und dem DJV Niedersachsen.