Aus Kinderaugen betrachtet, ist Corona ziemlich verwirrend. Experten und Familien verraten, wie Pippi Langstrumpf und Toilettenpapier das Alltagsleben einfacher machen.
Von Marie Eierund
Die kleine Leni sitzt gebannt vor dem Fernseher. Aufgrund der Corona-Krise kann sie nicht in den Kindergarten gehen. Heute darf sie sich eine Folge „Pippi Langstrumpf“ zur Ablenkung ansehen. Pippi kommt in der Folge einer mysteriösen Krankheit, dem Spunk, auf die Spur. Aufgeregt schaut Leni ihre Mama an und ruft: „Mama, ist Pippis Spunk wie Corona?“ Fragen wie diese hat ihre Mutter Michaela in den letzten Wochen viele gehört. Die Corona-Krise stellt für die Gesellschaft eine Herausforderung dar. Aber wenn schon Politiker an ihre Grenzen kommen, wie sollen dann erst Kinder Corona verstehen?
Gespräche auf Augenhöhe
Hätte Leni einen Fachmann nach dem Virus gefragt, so wären bei der Erklärung sicherlich Wörter wie Atemwegserkrankung, Inkubationszeit und Risikogruppe gefallen. Genau diese Wörter wollte Michaela Hoffmann ihren Kindern verständlich machen. Denn die fragenden Blicke des zweijährigen Sohnes und der vierjährigen Tochter, wenn sie sich beim Bäcker die Atemschutzmaske aufsetzte, häuften sich. Die Diplom-Psychologin Jennifer Giesler-Strauss findet, dass die Erklärung des Virus von hoher Bedeutung ist: „Kinder reagieren auf Krisen meist mit Unsicherheit, da ist Kommunikation gefragt. Sie können nicht vor Corona abgeschirmt werden. Deshalb sollte, so gut es geht, auf ihre Fragen eingegangen werden.“ Die Psychologin weiß, dass es auf eine kindgerechte Erklärung ankommt. Diese zeichne sich durch eine einfache Wortwahl aus. Da Kinder gut auf verschiedene Medien reagieren, empfiehlt die Psychologin, bei der Erklärung auf Bilder, Bücher oder Videos zurückzugreifen. Hilfreich sei es, wenn bei der Kommunikation ein ruhiger Ton angeschlagen wird. Fernab von Stress sei die Aufnahmefähigkeit viel höher. Werden diese Tricks im Alltag angewandt, lassen sich schwierige Themen wie die Maskenpflicht viel leichter verdeutlichen.
Die Verantwortung der Eltern
Doch den Erklär-Methoden können Steine in den Weg gelegt werden. Wenn sich die Eltern Sorgen machen, werden die negativen Gefühle auf die Kinder übertragen. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern Unsicherheiten verdrängen sollten. „Als Elternteil sollte man sich über seine Gefühle klar werden und sich mit Ängsten auseinandersetzen“, findet Giesler-Strauss. Gedanken wie „Werde ich meinen Kindern gerecht?“ oder „Kann ich mit den Fragen meines Kindes umgehen?“ sind daher normal.
Es ist normal, dass auch Eltern mal nicht weiterwissen.
Jennifer Giesler Strauss, Diplom-Psychologin
Der veränderte Tagesablauf kann zu einer Belastung werden. Die Sorge um die Familie, die finanzielle Belastung oder das Homeoffice – nur ein paar Probleme, mit denen Eltern zu kämpfen haben. Auch Michaela Hoffmann spürt die Veränderungen im Familienalltag. Die Hausarbeit muss nun am Abend, wenn die Kinder schlafen, erledigt werden. Tagsüber bleibe dafür keine Zeit, denn die Kinder sind aufgrund der noch andauernden Schließungen der Kindergärten zu Hause. Doch wie sollen Familien bei diesen veränderten Abläufen Struktur in ihren Alltag bringen? Mithilfe eines Wochenplans! In den Wochenplan wird eingetragen, welche Aufgaben an welchem Tag erledigt werden müssen. Außerdem kann in die Spalten eingetragen werden, wer die Aufgaben erledigen soll. Eine Vorlage für einen strukturierten Wochenplan kann hier heruntergeladen werden.
Falls trotz Wochenplan die Stimmung in der Familie kippt, hat Jennifer Giesler-Strauss einen Tipp. Sie empfiehlt Eltern, sofern es möglich ist, Freiräume zu schaffen und diese im Plan zu vermerken. Auszeiten seien in anstrengenden Monaten von noch höherer Bedeutung. „Generell rate ich zu Bewegung an der frischen Luft. Sollte nicht viel Zeit zur Verfügung stehen, gibt es auch Entspannungstechniken, die Ruhe in den Alltag bringen“, so die Psychologin.
Kreativ gegen die Krise
Vor zwei Wochen hing auch bei den Hoffmanns der Haussegen schief. „Leni hatte ihren ersten Heulanfall, weil sie herausgefunden hat, dass ihr Reit-Vormittag ausfallen muss“, berichtet Michaela. Aber nicht nur die Pferde, sondern auch ihre Freunde, das Schwimmbad und Co. vermisst die Vierjährige. Die Psychologin weiß, was bei Frustration hilft: „Ablenkung! Je mehr Beschäftigung die Kinder haben, desto eher verschwinden Angst und Missmut. Natürlich müssen die Sorgen der Kinder ernstgenommen und durchlebt werden. Positive Gefühle helfen bei der Verarbeitung.“
Auch Michaela überlegte, wie sie ihre Familie glücklich machen kann. Weltweit hängen Kinder momentan Regenbögen in die Fenster. Michaela war von dieser Idee begeistert. So verwandelt sie gemeinsam mit den Kleinen ihr Zuhause in eine ganz eigene „Villa Kunterbunt“ – genauso wie bei Pippi Langstrumpf. „Bei uns hängen getuschte Regenbögen in den Fenstern. Meine Kinder freuen sich immer, wenn sie auch bei anderen Familien welche entdecken können“, erzählt die Zweifach-Mama. Jennifer Giesler-Strauss hält viel von der Regenbogen-Aktion: „Das Malen der Regenbögen hat einen psychologischen Effekt. Die Kinder fühlen sich gebraucht. Sie können ihren Teil dazu beitragen, der Gesellschaft zu helfen und gute Laune zu verbreiten. Die Regenbögen zeigen Zusammenhalt: Gemeinsam sind wir stark!“ Neben dem Malen der Regenbögen empfiehlt die Psychologin, dass Familien Aktivitäten in den Vordergrund stellen sollen. Es ist förderlich Humor in den Alltag zu integrieren.
Das weiß auch die Familie der siebenjährigen Kathi. Nachdem Kathi ihre Schulaufgaben erledigt hat, nutzt die Familie den Toilettenpapier-Vorrat des Hauses auf eine kreative Weise – kurzerhand starten sie eine Mumienwickel-Meisterschaft.
Obwohl die Tagesgestaltung eine Herausforderung ist, kann sie den Familien freudige Momente bescheren.
Schule im Kinderzimmer
Neben dem Kampf gegen Langeweile und Frustration ist das Lernen eine Herausforderung für Kathis Familie. Der Schulalltag soll langsam zurück zur Normalität geführt werden. Doch während die Abiturienten in den Klassenzimmern sitzen, wartet Kathi, die in die zweite Klasse geht, gespannt auf ihren Starttermin. Diese Spannung spürt auch die Grundschullehrerin Ilona H.*. Sie telefoniert wöchentlich mit allen Kindern ihrer Klasse und weiß, was ihnen in dieser Zeit am meisten fehlt: „Ihre Freunde und die Freizeitgestaltung. Wenn die Schulen öffnen, gibt es weiterhin Kontaktbeschränkungen. Hier sollten Eltern den Kindern unter die Arme greifen.“
Es ist sehr hilfreich, wenn die Eltern ihren Kindern Telefonate und Videoanrufe mit ihren Freunden ermöglichen.
Ilona H., Grundschullehrerin
Zu Ilonas Überraschung geben die Kinder an, wie sehr ihnen das Lernen in der Schule fehlt. Die Lehrerin weiß, dass das Lernen daheim nicht immer funktioniert. Sie behält auch Kinder im Blick, die kein stabiles Umfeld haben. Wie gut ein Kind zu Hause lernt, hänge davon ab, wie selbstständig das Kind sei. Hierbei sei die Initiative der Eltern gefragt, zumal die technische Affinität der Kinder oft nicht ausgeprägt ist, erklärt die Lehrerin. „Beim Lernen zu Hause kommt es besonders darauf an, die Lernfreude der Schüler zu erhalten“, so Ilona. Ähnlich wie die Psychologin hat auch die Grundschullehrerin erkannt, dass Kinder gut mit Medien lernen können. Ihr Tipp für die Eltern ist, den Lernprozess spielerisch mit Apps wie „Schlaufuchs“ zu unterstützen.
Gemeinsam in die Zukunft
Ilona H. findet, dass die Eltern besonders gefordert sind. Deshalb bietet sie auch telefonische Sprechstunden für die Erwachsenen an. Erfreut ist sie darüber, dass sich die Kinder nicht unterkriegen lassen. „Sie tüfteln bereits an neuen Begrüßungsmethoden für die Schule. Aus Umarmung und Händeschütteln wird für die Kinder zukünftig eine Verbeugung oder das Zeigen eines Herzens“, berichtet sie. Ähnlich wie das richtige Händewaschen kann auch diese Umstellung zu Hause geübt werden. Ilona denkt, dass mit der Öffnung der Schulen längst nicht die Normalität zurückkehrt. Doch sie ist zuversichtlich, dass Eltern, Lehrer, Erzieher und Kinder mindestens genauso stark sein können wie die kleine Pippi Langstrumpf, die letztendlich den gefährlichen Spunk besiegt.
*Name ist der Redaktion bekannt
Erstlingswerk
Dieser Beitrag ist Bestandteil der Kooperation von radius/30 mit dem 2. Semester des Journalismus-Studiengangs der Hochschule Hannover unter Leitung von Prof. Stefan Heijnk, der freien Journalistin Sonja Steiner, Programmierer René Aye von Pyropixel und dem DJV Niedersachsen.