KAFFEE AUS HANNOVER – TEIL 1

18. Dezember 2017 / Magazin

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Text und Fotos: Bernd Sauer

Es weht ein verführerischer Duft durch die Stadt: Frischer Kaffee aus der regionalen Kleinrösterei ist wieder angesagt. Wir haben uns für Sie auf die Suche nach Röstereien in Hannover und Region gemacht. Gefunden haben wir neben bekannten Traditionsbetrieben auch einige vielversprechende Newcomer.

Rückblende: Wirtschaftswunder und Strukturwandel

In den Wirtschaftswunderjahren nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Hannover über 40 Kaffeeröstereien. Viele davon waren inhabergeführte Kleinröstereien, die mit traditionellen Verfahren in kleinen Mengen produzierten und den Kaffee direkt oder über Tante-Emma-Läden und Bäckereien verkauften. Der Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel bedeutete dann vor allem in den 1970er-Jahren für fast alle lokalen Kaffeeröstereien das Ende. An ihre Stelle traten die industriellen Großröstereien, deren Produkte seitdem über die damals neu entstandenen Supermarktketten vertrieben werden. Gleichzeitig wurde Kaffee vom teuren Luxusgut zur günstigen Massenware. Am Ende haben nur zwei hannoversche Familienbetriebe das große Röstereiensterben überlebt: Machwitz und Ulbrich.

Gründungsboom und Kaffeehauptstadt

So blieb es lange, bis um das Jahr 2000 herum die ersten Neugründungen erfolgten. Inzwischen gibt es in Hannover stolze 18 Kaffeeröstereien, davon 15 im Stadtgebiet und drei in der Region. Allein in den letzten fünf Jahren kamen acht dazu. Nach Einschätzung von Arno Auer, Inhaber von „Wood Grouse Coffee“, hat Hannover im Städtevergleich heute vermutlich sogar die höchste Dichte an Kaffeeröstereien pro Kopf. Hannover ist so gesehen die heimliche Kaffeehauptstadt Deutschlands. Wer hier nur einen kurzlebigen Trend vermutet, liegt weit daneben. Bereits seit Anfang der 1980er-Jahre entwickelte sich eine weltweit vernetzte Szene von Kaffeeliebhabern, die genug hatten vom Einheitsgeschmack des Industriekaffees. Außerdem rückten die Produktions- und Handelsbedingungen stärker in den Fokus. Es entstand eine Spezialitätenkaffee-Bewegung, die unter anderem in der „Specialty Coffee Association“ (SCA) organisiert ist. Der Gründungsboom ist auch ein Ergebnis und Erfolg dieser Bewegung.

Spezialitätenkaffee als hochwertiges Genussmittel

Anders als bei der Zubereitung von Instant-Kaffee oder Portionskaffee aus Pad- und Kapselmaschinen geht es beim Spezialitätenkaffee nicht um die schnelle Tasse zwischendurch, sondern um Kaffee als hochwertiges und verantwortungsvoll produziertes Genussmittel. Es ist daher kein Zufall, dass es Überschneidungen mit der Fairtrade- und der Slow-Food-Bewegung gibt. Dabei ist die gesamte Wertschöpfungskette im Blickfeld: vom Anbau und der Verarbeitung im Ursprungsland über den möglichst fairen und direkten Handel, die handwerkliche Veredelung beim Rösten bis hin zur Zubereitung. Letztlich geht es darum, die Besonderheit der Bohne hervorzuheben und die geschmacklichen Feinheiten herauszuarbeiten. Hierzu tragen hellere Röstungen sowie die Wiederentdeckung des Handaufgusses gleichermaßen bei.

Leidenschaft und Wirtschaftsfaktor

Den wenigsten Kaffeeröstern wurde der Beruf in die Wiege gelegt. Die Neugründungen wurden vielmehr von „Spätberufenen“ und Quereinsteigern ins Leben gerufen. Dabei ist das Kaffeerösten offenbar eine Männerdomäne. Doch Sabine Stuber (Das KaffeeHaus) und Thurid Hamann (Villa Kava) beweisen, dass hervorragender Kaffee keine Frage des Geschlechts ist. So unterschiedlich die jeweilige persönliche Herangehensweise sein mag: Sie alle verbindet die Leidenschaft für hochwertigen, handwerklich hergestellten Kaffee. Und sie setzen auf Frische, Qualität und Kundennähe.

Längst ist die Kaffeeproduktion wieder ein wichtiger regionaler Wirtschaftsfaktor in Hannover, die Bandbreite reicht dabei vom Kleinstbetrieb bis zum mittelständischen Familienunternehmen. Eine Bedrohung sieht der Traditionsröster Dirk Ulbrich in den vielen Neugründungen nicht: „Wir verkaufen weiterhin so viel Kaffee wie vorher.“ Stattdessen würden eher die industriellen Großröstereien die neue Konkurrenz spüren und die neue Vielfalt habe einen Vorteil: „Die Leute werden bewusster beim Kaffeekaufen und man trinkt endlich wieder Filterkaffee!“ Auch Machwitz-Geschäftsführer Maximilian Koch meint: „Das ist ja auch schön, denn als lokale Röstereien sitzen wir im selben Boot.“

Die meisten Röstereien haben mehrere Standbeine und sichern sich so ihre Marktnische. Einige betreiben ein eigenes Café oder bieten einen Werksverkauf an, die meisten haben auch einen Onlineshop. Manche setzen auf den Vertrieb über Supermärkte und Bäckereien, viele liefern auch direkt an Firmenkunden und die örtliche Gastronomie. Bei einigen Röstereien gibt es darüber hinaus auch die Möglichkeit, Firmenevents vor Ort durchzuführen oder an Führungen und Seminaren teilzunehmen.

Sensorik-Training in der Kaffeeschule

Apropos Seminare: Was bei anderen Röstereien nebenher läuft, ist für Thomas Brinkmann längst das Hauptstandbein. In den Räumlichkeiten seiner „Roastfactory“ wird nicht nur der Kaffee für „Camolini“ und „Villa Kava“ geröstet, sondern dort betreibt er auch die Kaffeeschule Hannover, deren Einzugsgebiet
bis in die europäischen Nachbarländer reicht.

In der Kaffeeschule wird das nötige Fachwissen an interessierte Kaffeeliebhaber und Profis aus der Branche vermittelt. Es werden zum Beispiel IHK-Zertifikatskurse und Kurse nach dem „SCA Coffee Diploma System“ angeboten. Besonders am Herzen liegen Thomas Brinkmann die Sensorik-Trainings. Hier geht es darum, bei der Kaffeeverkostung und -beurteilung die eigene Wahrnehmung zu schärfen und die Eindrücke auch zu benennen. Fähigkeiten, die erforderlich sind, um die geschmacklichen Eigenschaften von Spezialitätenkaffee überhaupt angemessen beschreiben und würdigen zu können.

Mehr Aromen als Wein

Sein typisches Aroma entwickelt Kaffee erst beim Rösten. Dabei entstehen mehr als 800 bis 1.000 verschiedene Einzelaromen – damit hat Kaffee ungefähr doppelt so viele Aromen wie Wein. Voraussetzung für die optimale Entfaltung dieser Aromen ist die schonende Langzeit-Trommelröstung. Hierbei werden die Bohnen etwa 15 bis 20 Minuten bei 190 bis 220 Grad geröstet und anschließend luftgekühlt. Die genaue Zeit und Temperatur ist abhängig von den Eigenarten der Bohne, den gewünschten Eigenschaften und den Vorlieben des Rösters. Beim Rösten werden unerwünschte Säuren wie die Chlorogensäure abgebaut und es entstehen komplexe Aromen. Der Kaffee ist daher in der Regel sehr bekömmlich und aromatisch. Bei der industriellen Kaffeeröstung hingegen werden die Bohnen im Schnelldurchlauf für nur ungefähr 90 Sekunden bis drei Minuten bei 400 bis 600 Grad schockgeröstet und teils wassergekühlt. Das Ergebnis ist dann meist ein Kaffee, der auf den Magen schlägt und recht bitter schmeckt.

Verwirrende Vielfalt für jeden Geschmack

In Bezug auf den Röstgrad orientieren sich einige Röstereien eher am gewohnten Geschmack ihrer Kunden – die Bohnen sind dann eher dunkel geröstet. Andere wiederum stellen konsequent die Besonderheiten der jeweiligen Bohne in den Mittelpunkt und betonen die feinen Säuren und Eigenaromen – was zu eher helleren Röstungen führt, die sortenrein angeboten werden. Dies finden manche Kunden zunächst gewöhnungsbedürftig, andere wiederum sind angenehm überrascht von der bisher nicht gekannten Aromenvielfalt. Die meisten der örtlichen Kaffeeröstereien gehen daher einen Mittelweg und haben für alle Geschmäcker und Zubereitungsformen den passenden Kaffee oder Kaffeemischungen im Programm. Wer einen kräftigen Kaffee aus dem Vollautomaten oder einen Espresso aus dem Siebträger bevorzugt, wird genauso fündig wie jemand, der lieber blumig-fruchtige Kaffees im Handfilter zubereitet.

Die Vielfalt an Kaffeesorten, Röstungen und Zubereitungsarten kann einen als Kunde erst einmal verwirren. Es ist daher empfehlenswert, sich ausgehend von seinen bisherigen Gewohnheiten schrittweise „vorzutasten“ und beim Kaffeekauf eingehend beraten zu lassen. Thomas Brinkmann empfiehlt, bei Gelegenheit einfach mal einen Kaffee vom lokalen Kleinröster auszuprobieren. Frische Bohnen, dazu ein zur Zubereitungsmethode passender Mahlgrad: „Damit ist schon viel getan.“ Am Ende gilt: Probieren geht über Studieren. Und: Erlaubt ist, was schmeckt.

KAFFEE AUS HANNOVER – TEIL 2

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