Themenwoche Barrierefreiheit: Hundetrainerin Pia-Céline Delfau

11. Mai 2021 / Gesellschaft

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© Linda Pfeiffer Fotografie

Barrieren sind dazu da, überwunden zu werden, auch wenn sie dazu wahrlich nicht immer einladen. radius/30 hat drei Personen getroffen, die auf ganz unterschiedliche Weise Barrieren überwinden. Der stark sehbehinderte Fotograf Guido Klumpe ist preisgekrönt, die gehörlose Psychologin Pia-Céline Delfau vermittelt bei ihrer Arbeit als Hundetrainerin zwischen Mensch und Hund und Rollstuhl-Basketballer Jan Haller überwindet mit seinem Team Hannover United in der Bundesliga erfolgreich gegnerische Teams und die Distanz zum Korb.

Pia-Céline Delfau ist Psychologin, Hundetrainerin und gehörlos. Sie vermittelt in der Region Hannover zwischen Tier und Mensch mit ungeheuer viel Empathie und Sachverstand und nutzt dabei besonders ihre von klein auf ausgeprägte Beobachtungsgabe.

Gruppen-Seminare und Einzelcoaching

„Meine Kunden sind sehr unterschiedlich“, sagt Delfau über die vielen ratsuchenden Gespanne, die in ihre Hundeschule „Wegbegleiter“ kommen. Ganz junge Hunde sind eher selten, die meisten sind mindestens in der Hundepubertät am Ende des ersten Lebensjahres oder älter. Das Angebot der Trainerin ist vielseitig, neben Einzelcoachings zu verschiedenen Themenbereichen bietet sie für Mensch-Hund-Teams, die neue Anreize suchen, Fährtenlese-Kurse an und für Menschen, die an sich selbst arbeiten möchten, Emotions-Regulationskurse für Hundehalter. In der Regel passiert das alles als Präsenzveranstaltung, aber zu Pandemiezeiten funktioniere das auch wunderbar online, versichert Delfau.

Erwartungen auf beiden Seiten der Leine

Kerstin und Gesa aus der Region haben mit der elf Monate alten Akita-Inu-Hündin Anouk einen Termin für ein Intensiv-Coaching vor Ort an den Ricklinger Kiesteichen. Anouk sieht aus wie ein flauschiger, robuster Riesenspitz. Akitas sind eine traditionelle japanische Hunderasse und Anouk ist mitten in der Pubertät, eine besonders sensible Phase auch im Hundeleben. Es wird deutlich, wie wichtig das Verständnis für die Eigenheiten der Vierbeiner auf der Menschenseite der Hundeleine ist. Obwohl ihre Halterinnen bereits Erfahrung mit mehreren Hunden haben, wollen sie alles richtig machen und „den Hund richtig lesen können“.

Menschen bringen ihre spezifischen Erfahrungen mit und projizieren sie mehr oder weniger unbewusst auf das Tier, welches diese Erwartungen spürt und spiegelt. Begegnungen mit anderen Hunden werden als schwierig erwartet, der gelehrige Vierbeiner soll ein großes Repertoire an Befehlen erlernen, ein gelassener Alltagsbegleiter sein oder Sportkumpel werden. Anouk wird rassebedingt weder zahlreiche Tricks lernen noch Gegenstände apportieren. Jedenfalls höchstwahrscheinlich nicht. Ihre Rasse wurde auf Eigenständigkeit gezüchtet, auf innere Ruhe und Ausgeglichenheit.

Rassebedingte Eigenheiten prägen Interaktion

Während Anouk an der langen Schleppleine den sonnigen Ausflug durch den Tiefschnee genießt und akustisch wie olfaktorisch ihre Menschen und das Umfeld auf dem Radar hat, beobachtet die Trainerin Tier, Menschen, die Interaktionen zwischen ihnen und das gesamte Umfeld höchst aufmerksam. Keine Anspannung entgeht ihr, kein unbedachter Moment, den der Hund ausnutzen könnte. Sie hat ihre Augen offenbar überall und mit dem Cochlea-Implantat auch ihre Ohren.

Dass ihre Anouk eigenständig und dickköpfig ist, wissen die beiden Besitzerinnen, aber wie genau sich das äußert und welche minimalen Reaktionen des Akita wie zu deuten sind, das nimmt die Trainerin ihnen genau auseinander. Erklärt Mutter und Tochter, welche Aktion am einen Ende der Leine welche Reaktion am anderen Ende bedingt, wie der Pingpong-Effekt sich entwickelt und korrekt interpretiert wird. Ein Akita ist sparsam mit Reaktionen. Wird er gerufen, hört er das. Den Kopf noch zum Menschen zu drehen, findet er optional: kann, muss aber nicht.

Solche Eigenarten muss der Mensch unbedingt wissen und sie stets präsent haben, um nicht enttäuscht zu sein von seinem Tier und dessen Verhalten. Jede Rasse hat ihre Eigenarten, und jedes Tier einer Rasse ist individuell. Es sind teilweise minimale Regungen von Anouk, die den Besitzerinnen signalisieren, dass die Kommunikation steht und zufriedenstellend verläuft. Es geht um Emotionen bei der Interaktion in der Hundehaltung, um das gegenseitige Verstehen. Bis Mensch und Hund eine gemeinsame Sprache gefunden haben, übersetzt Pia-Céline Delfau.

Einzige gehörlose Hundetrainerin

Als gehörlose Frau, welche die deutsche Gebärdensprache beherrscht, bietet sie als einzige Hundetrainerin auch Coaching für gehörlose Hundehalter an. Das ist ein Vorteil, denn nicht alle Gehörlose tragen ein Cochlea-Implantat oder können Gebärdensprachendolmetscher für private Anliegen finanzieren. Im beruflichen Kontext hingegen bekommen Gehörlose sie gestellt.

Text und Bilder: Carmen Eickhoff

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