5 Stimmen aus dem Einzelhandel – Teil 4: Autohaus Kahle

14. Oktober 2021 / Wirtschaft

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März 2020: erster Lockdown. November 2020: Lockdown light. Dezember 2020: harter Lockdown. April bis Juni 2021: Bundesnotbremse. Wie ist es dem Einzelhandel in und um Hannover in der Corona-Zeit und während der Lockdowns ergangen? Und wie geht es heute? Wir haben Unternehmerinnen und Unternehmer aus unterschiedlichen Branchen zu ihren Erfahrungen befragt. In den ersten drei Teilen der Serie erzählen Julia Heuser von Liebe + Zeug, Anne-Luise Lübbe von der BH Lounge und Dr. Silke Walter von der Sonnen-Apotheke, was sie in den letzten Monaten erlebt haben.

In den Gesprächen wurde deutlich, dass die soziale Komponente während der Pandemie eine noch größere Rolle spielte als ohnehin schon – sowohl der Austausch mit der Kundschaft als auch der Zusammenhalt innerhalb der Teams. Außerdem wurde bei allen Befragten der „Selbstständigen-Spirit“ deutlich: Sie warteten nicht ab, sondern wurden kreativ und packten an – entschlossen, mit einfallsreichen Produkten oder neuen Vertriebswegen einen Weg aus der Krise zu finden.

Autohaus Kahle: „Wir leben noch“


1937 gegründet, insgesamt 5 Standorte in Hannover, der Wedemark, in Neustadt, Wunstorf und Walsrode und über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das ist das Autohaus Kahle in Zahlen. Vor über 30 Jahren trat Karl-Heinz Kahle ins Familienunternehmen ein.

radius/30: Herr Kahle, wenn Sie auf die letzten Monate zurückblicken – wie ist es Ihnen ergangen?

Karl-Heinz Kahle: Am Anfang des ersten Lockdowns stand nur die Frage im Raum: Wie soll es weitergehen? Die Lockdowns bedeuteten für uns absolute Existenzangst. Es war einfach überhaupt nichts mehr kalkulierbar. Die Fördermaßnahmen kamen ja erst später. In Thüringen blieben Autohäuser übrigens auch während des Lockdowns geöffnet. Gleichbehandlung war also auch ein Thema. Wir haben bei uns im Unternehmen wirklich alles hinterfragt, haben alles überprüft, ob es richtig und zielführend ist oder ob wir es anders machen müssen.

Wir haben alle Prozesse infrage gestellt: Was ist Luxus, auf was oder wen können wir im Zweifel verzichten. So konnten wir uns dann stabilisieren. Wir sind in vielen Punkten abhängig von Volkswagen. So ein Konzern geht relativ schnell in Kurzarbeit, aber es dauert lange, bis er wieder anläuft. Wir haben von dort auch relativ wenig konkrete Aussagen bekommen auf Nachfragen. Andere Hersteller haben keinen Chipmangel und man fragt sich natürlich: Wie machen die das? Andere können liefern, wir nicht.

Was sind die wichtigsten Learnings aus dieser Zeit?

Digitalisierung ist ein großes Thema, mit dem wir uns befassen. Wir haben während des Lockdowns beispielsweise alle Personalakten digitalisiert und eine große Systemumstellung durchgezogen, die bereits vor Corona geplant war. Außerdem haben wir Themen herausgearbeitet, die wir jetzt Stück für Stück umsetzen. Das, was wir beeinflussen können, bringen wir voran. Abläufe müssen automatisiert werden, da wir irgendwann unter Personalmangel leiden werden. Ein großes Problem für uns waren die Zulassungsstellen. Die Verzögerung sorgt nicht nur für ärgerliche Kunden, sondern kostet uns richtig Geld. Im Landkreis wurde das besser, da konnten wir Lösungen finden. In der Stadt war es eine Katastrophe. Corona hat dazu beigetragen, dass aufgedeckt wird, in was für einer Digitalwüste wir leben.

Zurückhaltung merken wir besonders im Einzelkundenbereich bei den Neuwagen. Die Menschen sind verunsichert und überlegen, ob sie solche Ausgaben tatsächlich tätigen wollen. Sie sind sehr zurückhaltend, das macht knapp 25 Prozent weniger aus als vor Corona. Wir leiden unter Lieferschwierigkeiten und unsere Einkaufspreise gehen nach oben. Natürlich steigen dadurch dann auch die Preise für den Endkunden. Wir haben Mitarbeiter, die sich nur damit beschäftigen, wo wir Autos herbekommen. In der Werkstatt hatten wir während der Lockdowns eine geringere Auslastung: Wir merkten, dass die Menschen mehr im Homeoffice waren und weniger Auto fuhren.

Mit unseren Mitarbeitern ist es vergleichbar mit der Gastronomie: Gute Mitarbeiter zu finden, ist ohnehin schon schwierig, aber jetzt haben sich viele aus Unsicherheit umorientiert und die Branche gewechselt. Sie haben über ihr Leben nachgedacht und sich gefragt „Will ich das weiter tun oder wechsle ich in eine Branche, die sicherer ist?“ Man lernt in solchen Situationen die Menschen kennen, mit denen man einen Krieg gewinnen könnte und die zu einem stehen. Quarantäne und Kurzarbeit war für uns ein großes Thema. Quarantäne ist für uns als Unternehmen ein großes Problem, denn wir brauchen jeden, der bei uns arbeitet. Wir haben keine Personalreserven mehr – die sind alle abgebaut.

Wie denken Sie über die Corona-Politik in Hinblick auf staatliche Unterstützung?

Bei der Förderung brauchte ich Leute, die mir die komplizierten und unverständlichen Antragsformulare erklärt haben. Dann ging es zum Glück relativ problemlos. Inzwischen ist es ruhiger geworden und wir haben eine recht stabile Situation.

Was würden Sie noch mal genauso machen, was vielleicht nicht mehr?

Wir haben letztes Jahr nur sehr eingeschränkt Auszubildende eingestellt. Wie hätte ich denn einstellen können ohne zu wissen, ob ich ihre Gehälter bezahlen kann? Diese Entscheidung werde ich vielleicht bereuen, denn wir übernehmen viele unserer Auszubildenden. Aber es war einfach nichts planbar. Dieses Jahr sind wir immerhin fast wieder auf Normalniveau, sodass die Zielgröße von maximal ca. 80 Auszubildenden mit jetzt 60 Auszubildenden erreicht wird.

Was wünschen Sie sich für die kommende Zeit?

Entbürokratisierung. Wir sind Mittelständler, ein Handwerksbetrieb und es gibt zahlreiche Auflagen, die wir erfüllen müssen, für die wir aber Menschen brauchen, die sie uns erstmal erklären, weil sie völlig unverständlich sind. Mir fehlt außerdem eine Vision. Wo will man in Deutschland hin? Ein Unternehmer trägt immer Verantwortung – für seinen Betrieb, für die Finanzen und seine Mitarbeiter. Eine solche Verantwortung sehe ich bei vielen anderen in Deutschland nicht. Ich schaue seit Corona bei vielen Dingen genauer hin und sehe, mit wie viel Dilettantismus wir es zu tun haben. Das betrifft die steigenden Strompreise (und gleichzeitig soll die E-Mobilität steigen), Fachkräftemangel, Bildungspolitik, Digitalisierung … Da wünsche ich mir eine Idee, wie diese Herausforderungen vernünftig gelöst werden können. Leider sehe keine sinnvollen Konzepte. Und es sind noch zu viele nicht geimpft. Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen impfen lassen.

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